Bombenterror in Algeriens Hauptstadt

Mindestens 22 Tote durch zwei Autobomben in Algier, eine vor einem UN-Gebäude, die andere vor dem Obersten Gericht. Die militanten Islamisten des Landes, die sich inzwischen zu al-Qaida zählen, gehen auf spektakuläre Weise wieder in die Offensive

VON REINER WANDLER

Der Horror ist zurück in Algier. Gestern früh explodierten in Algeriens Hauptstadt zwei Autobomben. Nach Angaben des algerischen Innenministers Yazid Zerhouni vom Abend starben 22 Menschen, 177 seien verletzt und davon 55 in Krankenhäuser eingeliefert worden. Zuvor hatten Krankenhausmitarbeiter von 62 Toten gesprochen.

Der erste Sprengsatz wurde unweit des Obersten Gerichtshofs gezündet. Der zweite zerstörte die Büros des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) in Algier. Zehn Zivilisten und zwei Polizisten starben dort laut Innenminister durch die Bombe. „So etwas gab es in unserem Stadtteil noch nie“, berichtet M. B. aufgeregt am Telefon. Die Frau, Ende 30, die ihren Namen nicht gedruckt sehen will, lebt mit ihrem Mann, einem mittelständischen Unternehmer, und den drei Söhnen in Hydra – einem Viertel, das Ministerien, Botschaften und Diplomatenresidenzen beherbergt und deshalb bisher als sicher galt. „Die Explosion war nicht zu überhören“, berichtet M. B. mit nervöser Stimme, während sie vom Fenster aus eine schwarze Rauchwolke beobachtet. Der zweite Anschlagsort ist keinen Kilometer von der Wohnung der Familie B. entfernt. Es war eine Autobombe.

Zehn Minuten vor dem Anschlag in Hydra war in Ben Aknoun, einem Stadtteil hoch über der Bucht von Algier, die erste Autobombe unweit des Obersten Gerichtshofs und des Verfassungsrats des Landes explodiert. „Ich war völlig außer mir, als ich hörte, dass ein Schulbus dabei getroffen wurde“, berichtet M. B., deren beide Ältesten in Ben Aknoun aufs Gymnasium gehen. „Sie haben sich gemeldet“, sagt M. B. erleichtert.

Leider ging es nicht für alle so glimpflich aus. „Die Zahl der Toten ist sehr hoch“, berichtet Innenminister Zerhouni, als er sich von den Folgen der Attentate selbst ein Bild machte. Ein Teil des UN-Gebäudes ist eingestürzt. Zerhouni sagte am Abend nicht, wie viel UN-Mitarbeiter unter den Opfern waren. Das UNHCR in Genf sprach von zehn getöteten Mitarbeitern. UN-Flüchtlingskommissar Antonio Guterres sagte laut einem Sprecher, es betehe „kein Zweifel“, dass sich das Selbstmordattentat gezielt gegen die UNO gerichtet habe.

Vor dem Gerichtshof waren die Rettungsdienste noch am Nachmittag dabei, Leichen aus dem Wrack des vollbesetzten Schulbusses zu bergen. Keiner wusste zunächst zu sagen, wie viele Jugendliche ums Leben gekommen waren.

Bis Redaktionsschluss hatte sich niemand zu den Anschlägen bekannt. Doch alles deutet darauf hin, dass die Bomben einmal mehr das Werk der radikalen Salafistischen Gruppen für Predigt und Kampf (GSPC) waren. Diese operieren seit einem Jahr unter dem Namen „al Qaida im islamischen Maghreb“. Im April kamen 33 Menschen durch drei von Selbstmordattentätern in Algier zeitgleich gezündete Autobomben ums Leben. Im September steuerten zwei Männer einen mit Sprengstoff beladenen Lastwagen in eine Kaserne unweit der Hauptstadt und töteten über 30 Marinesoldaten. Nur wenige Tage zuvor hatte ein Selbstmordattentäter im ostalgerischen Batna versucht, Staatschef Abdelasis Bouteflika zu töten.

Die zu „al Qaida Maghreb“ avancierten Salafisten sind die einzigen Untergrundkämpfer Algeriens, die Bouteflikas Angebot zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach den Kämpfen der 90er-Jahre nicht angenommen haben. Sie wollen jetzt alle bewaffneten Islamisten in Nordafrika koordinieren. Erst vor wenigen Tagen hatten sich Algeriens Sicherheitskräfte über den November 2007 als ruhigsten Monat seit fünfzehn Jahren gefreut.