Von Schafen und gegrillten Zucchini

MAERZMUSIK Das Künstlerduo Daniel Kötter/Hannes Seidl sucht nach neuen Regeln für das Musiktheater und forscht im Rechtssystem. Aufführung im HAU2

Wer im Film zu sehen ist, darf nicht gleichzeitig live auf der Bühne sein

VON TERESA ROELCKE

Ein Schaf schaut zwischen den Holzbrettern eines Zauns hervor. Das Künstlerduo Daniel Kötter und Hannes Seidl hat das Tier auf eine kleine Moselinsel vor der luxemburgischen Stadt Schengen transportiert, damit es dort gemeinsam mit ein paar Zelten und Tischen das Setting für ein Juristencamp bildet: Im Spätsommer 2014 beschäftigten sich sechs Rechtswissenschaftler auf dem Eiland einen Tag lang mit der bescheidenen Aufgabe, ein gerechtes Rechtssystem für die gesamte Welt zu entwerfen.

Diese Diskussionen bilden die Grundlage für Kötter/Seidls Musiktheater „Recht“, das im Januar im Frankfurter Mousonturm uraufgeführt wurde und jetzt zur MaerzMusik kommt. Mit Kamera und Mikrofon begleitete das Künstlerduo Gespräche, Essen und abendlichen Bierkonsum; die Aufnahmen dampften sie anschließend auf Spielfilmlänge ein. Der so entstandene Film ist einer der Bestandteile ihrer Inszenierung. Die Musiker des belgischen Neue-Musik-Ensembles Nadar, die mit auf der Insel waren, treten auch live auf. Sie sorgen für Musik und Geräusche und für ein wenig szenische Bewegung im Bühnenraum: Manchmal stehen sie am vorderen Rand der Bühne und reiben Konservendosen oder zerreißen Papier, manchmal sitzen sie auf einer Ansammlung von Paletten im hinteren Teil und konzertieren mit ihren Instrumenten.

Dann wieder sitzen einzelne Musiker vor der Leinwand und betrachten den Film, oder jemand verschwindet hinter dieser Projektionsfläche. Denn wer im Film zu sehen ist, darf nicht gleichzeitig live auf der Bühne sein. Das ist eine der Regeln, die der Filmemacher Daniel Kötter und der Komponist Hannes Seidl aufgestellt haben.

„Recht und Raum haben sich historisch gründlich verstrickt. Man soll einmal versuchen, den Raum nicht von seinem Material, nicht von seiner Form her zu denken, sondern von den Techniken, die ihn herstellen“, so einer der Juristen auf der Insel. Dieser Vorschlag führt zum konzeptionellen Kern dieses Musiktheaters: Das Thema „Recht“ wird auf der Juristeninsel in Gesprächen beackert wie auch über die „Techniken“, die den Raum herstellen. Daher geht es nicht nur um das Thesenpapier, das am Ende des Juristencamps ein ominöser „Messenger“ abholen soll, sondern auch um den Weg dorthin. Die Filmszenen bilden die Beratungen über das richtige Grillgut ebenso ab wie die Gespräche darüber, was in der roten Mappe für den Messenger landen könnte: vielleicht doch ein Musikstück statt eines ausformulierten Statements?

Auf der Bühne unterwerfen sich die Musiker unterschiedlichen musikalischen Rechtssystemen, je nach dem Ort, an dem sie sich gerade befinden: Mal improvisieren sie, mal folgen sie vorgeschriebenen Noten. Oder sie packen eben ihr Instrument in den Kasten und verschwinden hinter der Leinwand, wenn auf der Insel Zeit für ein kleines Konzert ist. Wer gerade hinter der Leinwand war, der bringt vielleicht einen Teller gegrillter Zucchini mit und bietet sie den Kollegen an. Die Entscheidung bezüglich des Grillguts ist nämlich zugunsten von Gemüse gefallen; während der Mahlzeit erklingt ein von Seidl eigens für die Insel komponiertes Cellostück.

Das Verhältnis von Bühne und Film hinkt ein bisschen in „Recht“, im Gegensatz zu der letzten Musiktheaterproduktion des Künstlerduos Kötter/Seidl, dem 2013 uraufgeführten Stummfilmoratorium „Kredit“ (am 26. und 27. März, 19 Uhr im HAU2 zu sehen). Dort stellten Musiker, Geräuschemacher und Sprecher die gesamte Tonspur zum Film live auf der Bühne her, mit dem Effekt einer interessanten Verfremdung. In „Recht“ bleibt die gegenseitige Konfrontation unterschiedlicher raumgebundener Regelsysteme eher abstrakt und füllt sich nicht richtig mit eigenem Leben; obwohl oder vielleicht auch weil etliche Motive auf der Bühne und im Film so sehr darauf verweisen, dass es um diese großen Themen „Recht“ und „Raum“ geht.

Manchmal tun sie das fast so demonstrativ, als winkten sie mit dem Zaunpfahl, hinter dem das bereits erwähnte Schaf eingepfercht ist. Apropos Schaf – gegen Ende des Statements für die rote Mappe taucht es wieder auf: „We cannot accept sheeps sleeping in their excrements and secrets. The death of people trying to get wherever they want to love. – Wir können Schafe, die in ihren eigenen Ausscheidungen schlafen, nicht akzeptieren. Den Tod von Menschen, die dorthin zu gelangen versuchen, wo immer sie lieben wollen.“ Ein wenig mehr von diesem todernsten Dadaismus hätte dem gesamten Stück nicht geschadet.

■ „Recht“, 26. und 27. März, 21 Uhr, HAU2