Atmosphärische Schwierigkeiten

Angolas Handballerinnen sind nicht nur wegen ihrer Tanzeinlagen die Publikumslieblinge der WM in Frankreich. Die überraschend starken Afrikanerinnen spielen heute gegen die deutsche Auswahl um den Einzug in die Vorschlussrunde

DIJON/PARIS taz ■ Gestern Vormittag rasten die deutschen Handballerinnen gen Paris. Von Dijon, der Kapitale des Region Burgund, benötigte der Hochgeschwindigkeitszug TGV lediglich 90 Minuten, um das Team zum Finalort der WM zu transportieren. Vielleicht mochte die eine oder andere schon vom Endspiel am Sonntag im riesigen Palais Omnisports in Paris-Bercy träumen. Aber ausgesprochen hat dies niemand, auch nicht Grit Jurack, die im Endspiel ihr 250. Länderspiel für Deutschland absolvieren würde. Ihre Gedanken kreisten ausschließlich um das Viertelfinale am heutigen Donnerstag gegen Angola (13 Uhr, Eurosport).

„Ich weiß gar nicht, ob wir zwingend der Favorit sind“, meint die 30-Jährige Jurack vom dänischen Topklub Viborg HK, die die WM-Torjägerliste mit 50 Treffern anführt. Auch Bundestrainer Armin Emrich wurde nicht müde, vor den Qualitäten des Gegners zu warnen: „Angola hat einen dynamischen und kreativen Handball gespielt. Sie haben die Hierarchien des Welthandballs durcheinander gewirbelt.“

Dass das deutsche Team die Sensationsmannschaft des Turniers unterschätzt, ist demnach unwahrscheinlich. Die Angolanerinnen haben nicht allein die international gut beleumundeten Österreicherinnen in der Vorrunde mit 33:22 abgekanzelt. Auch drehte der Afrikameister gegen Gastgeber Frankreich ein schon verloren geglaubtes Spiel, indem es einen 7-Tore-Rückstand in einen triumphalen 29:27-Sieg ummünzte. Ein sporthistorischer Sieg, den Angolas Coach Geronimo Neto mit pathetischen Worten feierte: „Dieser Sieg war nicht nur ein Sieg meiner Mannschaft, es war ein Erfolg für unser ganzes Land, für ganz Afrika.“ Die athletischen Afrikanerinnen, die ihre Siege gegen Kroatien und Mazedonien mit Tanzeinlagen auf dem Parkett feierten, sind längst zum Publikumsliebling der WM avanciert. „Das wird für uns atmosphärisch ganz schwierig“, ahnt Bundestrainer Emrich.

Der Stil der Angolanerinnen gilt als unorthodox – umso erstaunlicher, dass mit Marcelina Kiala, Nair Almeida (je 41 Tore) und Ilda Bengue (39) drei Spielerinnen unter den ersten zehn der Torjägerliste rangieren. „Sie sind sehr ausgeglichen besetzt“, weiß Emrich, der in der Nacht zum Mittwoch schon das dritte Spiel Angolas analysiert hatte. Und dennoch ist die deutsche Mannschaft geradezu verdammt zum Einzug in das Halbfinale. Schließlich wählte das Team diesen Gegner im letzten Hauptrundenspiel gegen Rumänien aus, als man mit lächelnder Miene mit 24:32 die erste Turnierniederlage einsteckte – und so Gastgeber Frankreich vorerst aus dem Weg ging.

Die Tatsache, dass der Deutsche Handball-Bund (DHB) rund 400.000 registrierte Handballerinnen verzeichnet, Angola hingegen nur einige hundert, die ihren Sport in Luanda und Benguela betreiben, spricht wohl eindeutig für Deutschland. Mit Jurack, Nora Reiche, Steffi Melbeck, Maren Baumbach, Nadine Krause und Nina Wörz arbeiten insgesamt sechs Spielerinnen in Dänemark, in der besten Liga der Welt. Und außerdem: „Der Teamgeist in unserer Mannschaft war noch nie so gut“, versichert Wörz. Die Aufbauspielerin weiß, dass die erste WM-Medaille seit 1997 greifbar nah ist, auch wenn im Halbfinale mit Europameister Norwegen der hohe Favorit wartet. ERIK EGGERS