die taz vor zehn jahren über den terror der ökonomie und schwäche der kapitalismus-kritik
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Es gehört zum Finalsieg des Kapitalismus, daß seine Kritik nicht mehr stattfindet. Das ist bisher nur monotheistischen Religionen gelungen. Freilich haben sie nach einiger Zeit Häresien abgesondert, was der Kapitalismus einstweilen nicht zu befürchten hat. Um ihn kümmern sich mit einiger geistiger Anstrengung nur seine Apologeten – die unermüdlich auf nicht mehr anzutreffende Gegner einschlagen. Es scheint da in der Priesterkaste, bei den Ökonomen, den Wirtschaftsjournalisten und den Verbandsfunktionären, ein Rest von Unsicherheit über die Vollständigkeit des Triumphs fortzubestehen. Ein Indiz übrigens, daß das Zeitalter der Ideologien nicht zu Ende ist. Gewiß, es gibt, seit den frühen neunziger Jahren und mit der plötzlich spürbaren Globalisierung, wieder vermehrte Kritik am Kapitalismus: an seiner Rücksichtslosigkeit, seiner Zerstörungslust und an der Wucht, mit der er soziale Ordnungen auflöst. Weniger schon an seiner Sterilität, an seiner schwindenden Neuerungskraft. Aber das sind letzten Endes, so richtig sie sein mögen, nur Beschwerden und Mäkeleien. Eine Kritik des Kapitalismus, wie sie von Joseph Schumpeter und Theodor Adorno geleistet wurde, ist das alles nicht. Im Kern scheint der Kapitalismus heute immun zu sein. Alles Schlimme über ihn ist offensichtlich längst gesagt, und die Feststellung, daß er sich nur mit der Herstellung von kleineren oder größeren Katastrophen voranbewegen kann, läßt seine Verteidiger kalt. Wenn, wie in diesem Jahr, Millionen Kleinanleger in Frankreich, Italien und Deutschland die Privatisierung ihrer nationalen Telekom-Gesellschaft nutzen, das Geld dafür vom Sparkonto nehmen – dann ist das ein schlagender Vertrauensbeweis, der die Angst vor der Globalisierung in Schach hält. Mit fundamentalen Erklärungen des Kapitalismus geben sich heute auch keine erstklassigen Schriftsteller mehr ab. Es fehlt einfach an Kraft, Mut und Unbefangenheit. Claus Koch, taz 13. 12. 1997