POLIZISTEN, DIE IHREN JOB OHNE UNNÖTIGE GEWALT AUSÜBEN? VIELLEICHT SIND ÜBERWACHUNGSKAMERAS DOCH NICHT AN SICH BÖSE
: Grübeln vor der Linse

MEIKE LAAFF

Langsam schlendere ich über den Bürgersteig in London. Kaum dem Blickfeld der einen Überwachungskamera über einem Bürogebäude entschlüpft, schon warnt mich das nächste Schild vor „CCTV in Operation“. Gut möglich, dass diese Stadt mehr Überwachungskameras hat als Einwohner.

Im Laufen scanne ich Nachrichten in meinem Smartphone. Eine weitere Kamera filmt von oben über meine Schulter. Ich öffne einen Text über Körperkameras für Polizisten in den USA. Ob man in die Bilder der Überwachungskamera über mir weit genug reinzoomen kann, um zu erkennen, dass ich etwas über Überwachungskameras lese? Ganz schön meta, verwerfe ich den Gedanken und beginne zu lesen. Und dann macht es kurz „Knack“ in meinem Überzeugungsgerüst.

Es geht um einen Testlauf für Bodykameras bei der Polizei von San Diego. Seit einem Jahr läuft der, Resultat: 40 Prozent weniger Beschwerden über die Polizei, 30 Prozent weniger Pfefferspray-Einsätze, über 45 Prozent weniger körperliche Gewalt.

Polizisten, die ihren Job ohne unnötige Gewalt ausüben – das ist natürlich erst mal irrsinnig erfreulich. Doof nur, dass das ausgerechnet dank Videoüberwachung gelingt. Doof zumindest für meine Argumentation dagegen – weil ich die Forderungen seit Jahren ziemlich bruchkantenfrei als Politiksimulation abtue: Innenpolitikern, die Videoüberwachung forderten, gefiel auch die Vorratsdatenspeicherung und all diese Maßnahmen, die nach Anschlägen oder totgeprügelten U-Bahn-Passanten hochgewürgt kommen, um dem Bürger die Verstärkung seiner Sicherheit vorzugaukeln.

Ich bin stehen geblieben. Noch mal nachdenken. Die Erzählung von der garstigen Kamera, von der Unterdrückung durch Überwachung funktioniert natürlich nur halb so gut, wenn diese Unterdrückung darin besteht, weder den Lauf einer Polizistenwaffe noch Tränengas ins Gesicht zu kriegen.

MontagCigdem AkyolDown

DienstagDeniz YücelBesser

MittwochMartin ReichertErwachsen

Donnerstag--Freitag--

Nun könnte man sich natürlich alles schönhegeln: Unterschied zwischen dem überwachten Privatmenschen und der Staatsmacht unter videogestützter Kontrolle in der Ausübung ihres Gewaltmonopols aufmachen. Was so einfach aber auch nicht ist – denn die Videos zeigen ja nicht nur, was der Polizist tut, sondern auch alle Bürger, mit denen er in Kontakt tritt. Plus: Wer hat wann Zugriff auf das Videomaterial – nur die Dienststellen oder auch Bürger? Und wer kontrolliert, dass Fehlverhalten sanktioniert wird?

San Diego ist nur ein US-Versuchsgebiet für die Körperkameras von vielen. Mancherorts funktioniert es mit dem Gewaltrückgang. Oft zeigt sich, dass Polizisten, die keine Kameras tragen, viel stärker zu Gewalt neigen als ihre überwachten Kollegen. Was alles in allem die Kamera nicht automatisch wieder an sich böse macht. Sie als Gerechtigkeitsinstrument am Polizeirevers dann doch wieder in Frage stellt. Argumentationsgerüst steht noch. Sollte ein Wachmann in dem Bürogebäude sich live den Videodurchfall der Überwachungskameras ansehen, vielleicht könnte er Erleichterung auf meinem Gesicht sehen. Oder mein Stehenbleiben als suspekt flaggen. Zeit, weiterzugehen.