U-Haft statt Jugendwohnung

PIRATENPROZESS Landgericht besteht auf U-Haft für minderjährige Angeklagte

„Die Dauer der U-Haft ist völlig unverhältnismäßig“

ANDREAS BEUTH, ANWALT

von ALEXANDER KOHN

Der 63. Verhandlungstag musste am Montag frühzeitig abgebrochen werden: Einer der zehn somalischen Angeklagten wurde vom Gefängnis nicht ins Landesgericht gebracht, sondern zum Arzt. „Er wurde von einem Mithäftling geschlagen“, bestätigte ein Sprecher des Hamburger Landgerichts. Der Verletzte und zwei weitere Angeklagte sind jünger als 21. Ihre Verteidiger haben im Herbst gefordert, dass die drei Jugendlichen aus der JVA Hanöversand entlassen und in einer Jugendwohnung untergebracht werden. Doch das Gericht lehnte wegen vermeintlicher Fluchtgefahr ab. Seit über anderthalb Jahren sitzen sie schon in Untersuchungshaft.

„Das ist völlig unverhältnismäßig“, sagt Verteidiger Andreas Beuth. Selbst bei Fällen wie Körperverletzung mit Todesfolge müssten deutsche Jugendliche nicht so lange in U-Haft bleiben wie die Somalis. „Sie leiden unter der Ungewissheit und Perspektivlosigkeit“, sagt Beuth. Sein Mandant Abdul Kader A. S. ist einer der Jüngsten und braucht laut Jugendpsychiater mittlerweile eine Therapie. „Das scheitert aber schon an der Sprachbarriere“, bedauert der Verteidiger. In der U-Haft seien pro Woche nur zwei Stunden Deutschunterricht vorgesehen. In einer Jugendwohnung wären sechs Stunden möglich. „Bei einer besseren Betreuung wären gewaltsame Übergriffe wie neulich weniger wahrscheinlich“, sagt Beuth.

Die Angeklagten sollen im April 2010 das Containerschiff „Taipan“ vor der Küste Somalias aufgebracht haben. Laut ihrem Verteidiger droht ihnen eine Strafe von vier bis fünf Jahren. Dies biete einen „starken Fluchtanreiz“ und deshalb sei die Fortdauer der U-Haft gerechtfertigt, entschied das Landgericht.

Anke Schwarzer vom „Eine Welt Netzwerk“ (EWNW) hatte gemeinsam mit anderen Initiativen bereits eine Wohnung für die Jugendlichen gefunden. Auch die Finanzierung sowie der Aufenthaltsstatus der Jugendlichen seien bereits geklärt gewesen. „Dass das Gericht die Entlassung abgelehnt hat, weil solidarische Unterstützer angeblich als Fluchthelfer bereit stünden, ist eine Kriminalisierung der kritischen Öffentlichkeit“, sagt Schwarzer.

Mehrere der zehn somalischen Angeklagten haben ausgesagt, dass sie mit Waffengewalt zur Teilnahme an der Piraterie gezwungen worden seien. Laut dem EWNW müssten sie deshalb freigesprochen werden. Doch Entlastungszeugen, die eine Zwangsrekrutierung belegen könnten, sind in Somalia laut Gericht unerreichbar. Zudem befürchten die Initiativen, dass nicht ergebnisoffen vernommen wird, sondern ein Exempel statuiert werden soll, um den Einsatz deutscher Kriegsschiffe am Horn von Afrika zu legitimieren.