Über den Tellerrand gelinst

HÜLSENFRUCHT Kleine Kraftpakete in großer Vielfalt: von russisch bis orientalisch. Mittlerweile haben selbst die Schwaben unter den Linsen in Berlin Wurzeln geschlagen

■ Tellerlinsen: Der Klassiker. Braun, 6 bis 7 mm groß und mehlig kochend. In Notzeiten war sie als „Hellerlinse“ auch Zahlungsmittel. Geeignet für Suppen und Aufstriche.

■ Rote und gelbe Linsen: Typisch für indische Dhals. Meist geschält im Angebot, daher werden sie schnell weich. Ideal für exotische Suppen, Aufstriche und Bratlinge.

■ Berg- und Pardinalinsen: Mittelgroße Sorten, rotbraun bzw. grau. Gegart etwas fester und aromatischer als Tellerlinsen. Gut für Suppen, Salate und Keimlinge. Da Linsen roh Giftstoffe enthalten, sollten Keimlinge vor dem Verzehr blanchiert werden.

■ Belugalinsen: Kleine schwarze Sorte mit feinem nussigem Geschmack und fester Schale. Gut für Salate und Beilagen.

■ Puylinsen: Kleine, grüne bis braune Sorte mit intensivem nussigem Geschmack aus der Auvergne. Bleibt gegart lange knackig, somit perfekt für Salate.

■ Castelluccio-Linsen: Sehr kleine, grünlich bis braune Sorte, die nur in den Bergen Umbriens angebaut wird. Für feine Salate. (dc)

VON DENNY CARL

Linsen haben hierzulande keinen guten Ruf. Dürfen sie bei schwäbisch Verwurzelten immerhin Zutat im Nationalgericht „Linsen und Spätzle“ sein, fungieren sie im westfälischen Suppenklassiker eher als bräunliche Würstchen-Trägermasse. Doch wer über diese beiden Tellerränder hinausblickt, entdeckt ein gesundes und überraschend vielseitiges Nahrungsmittel – und einen tollen Muntermacher für den Frühling.

Die kleinen Hülsenfrüchte gehören zu den ältesten Kulturpflanzen, die uns noch heute ernähren. Vor rund 10.000 Jahren wurden in Vorderasien die ersten Linsen serviert. Später stärkten sich die Erbauer der ägyptischen Pyramiden damit. In Indien entwickelte sich die Linse rasch zum Grundnahrungsmittel. Konquistadoren brachten die Linse in die Neue Welt. Im 20. Jahrhundert lernten Australier und Kanadier, die anspruchslose Pflanze zu schätzen und anzubauen.

Die weite Verbreitung brachte eine enorme Größen-, Farben- und Aromavielfalt in etwa 70 Sorten hervor. Ein gutes Dutzend davon bieten hiesige Bioläden, Reformhäuser und spezialisierte Versandhändler an. Auch Super- und größere Drogeriemärkte haben ein Sortiment mit mehreren Sorten.

Petra Kolip weiß diese Vielfalt zu schätzen. In ihrem Kochbuch „Linsenlust“ und auf ihrer Webseite linsenvergnuegen.de lässt sich ihre Leidenschaft für Linsen nachempfinden. „Belugalinsen“, beantwortet sie die Frage nach ihrer Lieblingssorte, „wegen des feinen Geschmacks und weil sie so schwarz glänzen.“ Die optische Ähnlichkeit zu Belugakaviar gab der kleinen Linse ihren Namen und bereitete ihr sogar den Weg zur gehobenen Gastronomie. So kommt etwa im Reinhard’s am Ku’damm so manche Jacobsmuschel mit süß-sauren Belugalinsen zum Gast. Andernorts stehen Maishähnchen oder Steinbeißerfilet mit Belugalinsen auf der Karte.

Es braucht jedoch keinen Spitzenkoch, um die preiswerten und leicht zu verarbeitenden Linsen auch zu Hause in eine Gaumenfreude zu verwandeln, zum Beispiel für ein Ostermenü. Kolip empfiehlt einen Linsen-Radicchio-Salat mit Pistazien und einer feinen Portwein-Note als Vorspeise. Beluga- oder Puylinsen sind hierfür ideal. Im Hauptgang kann man Lammkoteletts durch eine Beilage aus Bulgur und Berglinsen eine leicht orientalische Note geben. Als vegetarische Alternative bietet sich ein Festtagsbraten aus roten Linsen und Bergkäse oder auch frische Pasta mit einem Sugo aus zweierlei Linsen an. Wer sich nicht scheut, rote Linsen in Orangensaft zu kochen oder ein Krokant aus Linsen herzustellen, der muss auch beim Dessert nicht auf Linsen verzichten (alle Rezepte auf linsenvergnuegen.de). Die in den Rezepten genannten Linsensorten sind unverbindliche Empfehlungen.

Mehr als bloß Beilage: der vegetarische Festtagsbraten aus roten Linsen und Bergkäse

Grundsätzlich gilt, dass kleine Linsen eher festkochend sind, während große oder geschälte Linsen eher mehlig geraten. „Bei Linsen ist es wie bei Wein. Der eigene Geschmack und der Anlass sind entscheidend“, so Kolip.

Letztlich haben alle Linsen eins gemein: Eiweißanteil von fast 30 Prozent, Ballaststoffe, komplexe Kohlenhydrate, Spurenelemente wie Eisen und Zink, sechs Aminosäuren, Vitamine, Folsäure, Kalzium und Magnesium – das macht Linsen unverzichtbar, besonders für Vegetarier. Außerdem regen Linsen die Bildung von Serotonin an und sorgen so für gute Laune.

Grund zu guter Laune haben auch einige kleine Erzeuger auf der Schwäbischen Alb. Dort werden nach jahrzehntelanger Pause wieder die traditionellen Alblinsen angebaut. Die Nachfrage ist riesig und kann längst nicht mehr gedeckt werden. Und auch diese kleine Schwäbin hat inzwischen in Berlin Wurzeln geschlagen. 2014 wurden die ersten Alblinsen auf dem Weltacker in Spandau geerntet. Vielleicht war das nur der Anfang. Der karge Boden in Prenzlauer Berg wäre dafür ideal.