Der Hühnerstall macht mobil

DICKES EI In Brandenburg boomen die Hühnerfarmen. Umweltaktivisten kritisieren die „Agrarfabriken“. Dass es anders geht, machen die „Hühner auf Rädern“ vor, ein artgerechtes Ökoprojekt, das ebenso ökonomisch boomt

Abwechslung: Auf der Wiese fressen die Hühner nicht nur Gras, sondern auch kleine Insekten

VON ANSGAR WARNER

Zweistellige Wachstumszahlen würde niemand so schnell mit Brandenburg assoziieren – doch was Legehennen betrifft, marschiert das strukturschwache Bundesland ganz vorne mit: mehr als 400.000 Hühner könnten schon bald zwischen Elbe und Oder gackern. Zumeist auf engstem Raum zusammengepfercht und mit den üblichen Folgen für Mensch und Umwelt, ausgelöst durch Ammoniak im Hühnerkot, Antibiotika-Rückstände in den Eiern und Feinstaub in der Abluft aus den Ställen. Das stößt immer öfter auf Proteste: „Warum werden Agrarfabriken dieser Art, die in Niedersachsen nicht mehr möglich sind, nun zunehmend in der Uckermark errichtet?“, fragen etwa die Aktivisten der Bürgerinitiative „Contra Industrie-Ei Uckerseen“.

Viele der neuen Großställe werden ausgerechnet in der naturbelassenen Tourismusregion nordöstlich der Hauptstadt aufgestellt, angeschoben von anonymen Investoren aus Westdeutschland, unterstützt durch die Politik. Als die Landtags-Grünen kürzlich in Potsdam nachfragten, kam heraus: seit 2009 sind mehr als 70 Millionen Euro in den Bau solcher Mega-Anlagen geflossen, der größte Teil davon in die Uckermark.

Hühner düngen den Boden

Ein Paradebeispiel sind die geplanten Hühnerfarmen „Zollchow I“ und „Zollchow II“ unweit von Prenzlau. Sie würden zusammen fast 80.000 Legehennen beherbergen. Udo Folgart, Präsident des Landesbauernverbands, findet das prima. Es handele sich schließlich um einen „Familienbetrieb“ und eine Haltungsform, die „gesellschaftlich gewünscht“ sei. Eine nutzvieharme Region wie die Uckermark könne durchaus mehr Tierhaltung vertragen, vertraute Folgart erst kürzlich der Märkischen Oderzeitung an. Die Bürgerinitiative „Contra Industrie-Ei“ kann es kaum fassen. Im Jahr 2013 sei man gerade als nachhaltige Tourismusregion ausgezeichnet worden. Dieser boomende Wirtschaftszweig werde von der Landespolitik aufs Spiel gesetzt.

Dass es in der Uckermark auch ganz anders funktionieren kann, zeigt das Ökodorf Brodowin mit dem Projekt „Hühner auf Rädern“. Mehrere Herden von jeweils 220 Hühnern werden in Demeter-zertifizierten mobilen Hühnerställen gehalten. Dort sind sie aber nur nachts, tagsüber haben sie freien Auslauf auf einem abgesteckten Stück Acker. Völlig neu ist diese Form des artgerechten Grünauslaufs nicht: „Wer ein Hühnerhäuschen im eigenen Garten hat, macht das eigentlich schon immer so“, meint Peter Krentz, einer der beiden Geschäftsführer der Ökodorf Brodowin GmbH. Vor einigen Zeit sei die professionelle Landwirtschaft auf diesen Trend aufgesprungen: „Wir testen die mobilen Hühnerställe jetzt schon seit drei Jahren und produzieren etwa 300.000 Eier pro Jahr.“

Die Hühner haben nicht nur mehr Platz, sondern auch zusätzliche Nahrungsquellen zum auf dem Hof produzierten Futter: „Auf der Wiese fressen sie nicht nur Gras, sondern auch kleine Insekten, so wie es ihrem natürlichen Verhalten entspricht“, so Krentz. Nach zwei Wochen ist die Wiese „abgegessen“, die mobile Hühnerfarm zieht weiter. Auf dem brachliegenden Acker bleibt der Hühnerdung zurück, was sich bei der nächsten Ernte lohnt. „Man könnte sagen, dass die Hühner in die Fruchtfolge mit eingebunden werden“, findet Krentz. Für das Wohl des weiblichen Federviehs sorgen nicht nur menschliche Betreuer, sondern auch Hähne. Pro 50 Hennen kräht in Brodowin ein Hahn.

Preis steigt um 10 Prozent

Neben dem Verkauf im Hofladen und der Direktbelieferung von mehr als 1.500 Berliner Privatkunden im Rahmen des Brodowiner „Ökokorbs“ landen die Eier der mobilen Hennen als Viererpack in den Alnatura-Filialen der Hauptstadt. Der Test mit dem „Alnatura Origin Ei“ läuft so erfolgreich, dass in Zukunft größer geplant wird: „Wir möchten das Projekt unbedingt auch auf andere Regionen ausweiten und sind bereits im Gespräch mit möglichen weiteren Biohöfen“, so Alnatura-Pressesprecherin Stefanie Neumann.

Ausgebaut wird aber auch in Brodowin, demnächst werden bereits drei mobile Hühnerställe für die Öko-Lebensmittelkette produzieren. Mit dem zusätzlichen Hühnerstall wird der Preis des Viererpacks von 1,99 Euro auf 2,19 Euro steigen. „Wir sind aber sicher, dass die Verbraucher bereit sind, diese höheren Preise zu akzeptieren, da wir Hintergründe und Herkunft transparent kommunizieren“, meint Neumann.

Die Schnellen Brüter Zollchow I und Zollchow II dagegen werden wohl nicht ganz so schnell Industrie-Eier ausspucken. Nach einer Klage der Naturschützer vom BUND mussten die Baumaßnahmen eingestellt werden. Nicht nur das Wohl der Hühner war im Spiel, sondern auch Amphibien – die Mega-Legehennenanlagen gefährden das Leben der streng geschützten Rotbauchunke.