„Wir werden nicht mit dem Schleppnetz Kiffer einfangen“

GRAS Anfang April wird im Görlitzer Park die Null-Toleranz-Zone eingeführt. An der bisherigen Strafverfolgung durch die Polizei ändere das nichts, sagt Direktionsleiter Stefan Weis. Ein Gespräch über Cannabis-Konsumenten, Dealer und Verfolgungsmaßnahmen in Kreuzberg

■ 58, leitet seit 2013 die Direktion 5 (Friedrichshain, Kreuzberg, Neukölln). Von 1996 bis 1999 leitete er den Kreuzberger Abschnitt 53. Er hat das Projekt „Transfer interkultureller Kompetenzen“ in der Polizei aufgebaut. Ab Juli 2015 wird er die Direktion 2 (Spandau, Charlottenburg, Wilmersdorf) leiten. Die Gründe für die überraschende Versetzung sind derzeit nicht bekannt.

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Herr Weis, was versprechen Sie sich als Direktionsleiter der Kreuzberger Polizei von der geplanten Null-Toleranz-Zone für Cannabis im Görlitzer Park?

Die Sonderzone soll der Justiz ermöglichen, verstärkt gegen den Drogenhandel vorzugehen. Die Polizei leistet dabei Hilfestellung. Alles, was uns bei den Ermittlungen hilft, Haftbefehle gegen die Dealer zu erlangen, ist hilfreich.

Moment mal. Wenn der Görlitzer Park Null-Toleranz-Zone wird, betrifft das doch vor allem die Konsumenten. Schließlich ist in der Verfügung zum § 31a Betäubungsmittelgesetz geregelt, beim Besitz von bis zu 15 Gramm Cannabis für den Eigenverbrauch von Strafverfolgung abzusehen.

Die Polizei leitet auch heute schon Ermittlungsverfahren gegen Konsumenten ein. Ob der Konsument mit einem Gramm Cannabis angetroffen wird oder mit fünf oder fünfzehn Gramm, interessiert uns nicht. Über den weiteren Gang des Verfahrens entscheidet immer die Staatsanwaltschaft.

Was also ändert sich?

Der Ansatz ist, über die Konsumenten verstärkt an die Händler zu kommen. Wir werden nicht mit dem Schleppnetz durch den Park gehen und Konsumenten einfangen. Aber wir werden möglicherweise verstärkt Konsumenten überprüfen, bei denen gerade ein Verkaufsgeschäft gelaufen ist. Von Interesse ist dabei für uns: Welche Mengen hat der Konsument von dem Händler erworben? Was für Mengen an Bargeld haben wir bei dem Händler beschlagnahmt? Das erleichtert die Beweisführung gegen den Händler.

Was folgt daraus für die Konsumenten?

An der Strafverfolgung durch die Polizei ändert sich nichts. Wir schreiben unsere Anzeigen wie bisher. In Zukunft wäre denkbar, dass jede Person, die von der Polizei im Görlitzer Park mit Cannabis festgestellt wird, von der Staatsanwaltschaft – anders als bisher – ein richtiges Strafverfahren bekommt. Heute werden ja die meisten Verfahren wegen Eigenverbrauch eingestellt. Aber das sind Fragen, die die Justiz beantworten muss.

Seit dem 15. November geht die Polizei in Kreuzberg massiv gegen den Drogenhandel vor. Die Zahl der Haftbefehle hat seither deutlich zugenommen. Das zeigt doch, es geht auch ohne Sonderzone.

Die veränderte Konzeption, die wir seit November fahren, beinhaltet vielfältige Maßnahmen.

Die da lauten?

Zu einen haben wir die BPS, also die Brennpunktstreifen, eingerichtet. Das sind 40 bis 45 Beamte, die mit Unterstützung der Bereitschaftspolizei draußen in Uniform und Zivil unterwegs sind. Dann gibt es die Gruppe SEB, Sonderermittlung Brennpunkte. Die Gruppe besteht aus 15 Leuten – Kripobeamte verschiedener Direktionen, Beamte vom Rauschgiftdezernat aus dem LKA. Nicht nur an der Zahl der Haftbefehle ist abzulesen, dass die neue Konzeption Wirkung zeigt. Die Beschwerden von Anwohnern und Parkbesuchern sind zurückgegangen. Auch da sehen wir uns bestätigt in unseren Maßnahmen.

Nochmal die Frage – wozu brauchen Sie dann noch eine Sonderzone?

Man kann nie zufrieden sein in diesem Bereich. Aus meiner Sicht sind Sonderzonen auch sinnvoll als Präventiv- und Schutzmaßnahme.

Welcher Personenkreis soll im Görlitzer Park vor wem oder was geschützt werden?

Vorrangig geht es um die Anwohner und Familien mit Kindern, die sich im Park aufhalten. Aber es geht auch um die Konsumenten. Man mag das belächeln, aber meine Hoffnung ist, dem einoder anderen Konsumenten bewusst zu machen, dass es sich um illegale Drogen handelt, auch wenn es nur ein paar Gramm sind.

Glauben Sie wirklich, dass sich die Kiffer davon beeindrucken lassen?

Wenn bekannt wird, du hast in der Sonderzone keine Straffreiheit mehr für eine bestimmte Grammzahl, könnte das den einen und anderen Konsumenten durchaus abschrecken.

Überall in Berlin wird in der Öffentlichkeit gekifft. Ist das nicht alles Illusion?

Das erklärte Ziel der Polizei ist, keine offenen Drogenszenen zuzulassen. Überall, wo wir Erkenntnisse haben, das gehandelt wird, werden wir tätig …

und verdrängen das Problem. In Kreuzberg stehen die Dealer jetzt in den Seitenstraßen und Hauseingängen rund um den Görlitzer Park.

■ Unter dem Motto „Henkel verpiss dich – Herrmann versenken“ findet am 1. April, ein Solidaritäts-Kiff-in im Görlitzer Park statt.

■ Hintergrund: Die CDU-Senatoren Frank Henkel und Thomas Heilmann haben den Görlitzer Park ab 31. März zur Null-Toleranz-Zone erklärt. Andere Parks und Grünflächen könnten folgen.

■ Laut Kiff-in-Organisator Django Reinhardt wolle man mit der Aktion die Solidarität mit Flüchtlingen bekunden, die aufgrund von Residenzpflicht und Arbeitsverboten mittel- und obdachlos seien und sich teils „nur mit Illegalem zu helfen wissen“. Bis Freitagmittag hatte der Facebookaufruf 3.300 Follower. Wie viele Menschen tatsächlich kommen, bleibt abzuwarten. (mth)

Das ist richtig. Wir sind in ständigem Austausch mit den Gewerbetreibenden und Anwohnern im Wrangelkiez und reagieren kurzfristig mit demselben Verfolgungsdruck wie im Görlitzer Park. Ein Verdrängungseffekt in andere bekannte Drogenhandelsplätze wie der Hasenheide und dem RAW-Gelände ist aber nicht eingetreten. Das hatten wir eigentlich befürchtet.

Sind Sie sicher? Parkaufseher des Tempelhofer Feldes berichten laut Medien über Dealer auf dem Tempelhofer Damm. Das wäre neu.

Ich kann nur für den Zuständigkeitsbereich der Direktion 5 in Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln sprechen. Unsere Beobachtung ist, dass sich der Drogenhandel rund um den Görlitzer Park verringert hat, ohne dass eine Abwanderung erfolgt ist. Der Kunde wird gesucht und der Kunde braucht den Händler. Insofern ist das Ganze bezogen auf einen festen Raum. Auf dem RAW-Gelände oder in der Hasenheide müsste der Händler neue Kunden akquirieren.

Wie lange kann und will die Polizei diesen Druck in Kreuzberg aufrechterhalten?

Wir müssen gucken, wie sich das im Frühling entwickelt. Ich kann da nichts prognostizieren. Das Stichwort lautet langer Atem.

Wer hat bei den Einsätzen rund um den Görlitzer Park eigentlich den Hut auf?

Das bin ich. Im Polizeipräsidium gibt es im Stab des Präsidenten zu dem Thema eine Steuerungsgruppe. Aber die Koordination geht über die Polizei hinaus. Bei der Innenerwaltung, Staatsanwaltschaft und Ausländerbehörde gibt es feste Ansprechpartner. Auch mit dem Ordnungsamt des Bezirks und dem Sicherheitsdienst der BVG arbeiten wir eng zusammen.

Manche Leute werfen der Polizei Racial Profiling vor, weil sie sich im Park vor allem die Schwarzen vorknöpft. Was sagen Sie dazu?

Racial Profiling – das weise ich zurück. Wir beobachten die Handelstätigkeiten. Und unsere Erkenntnisse sind nun mal so, dass im Görlitzer Park 95 bis 98 Prozent der Dealer Schwarzafrikaner sind. Am RAW-Gelände haben wir eher eine arabische Klientel, die in unseren Fokus gerät mit ihrer Handelstätigkeit. Das hängt immer von der Örtlichkeit ab.

Die Mehrheit der Kreuzberger würde sich gegen eine Null-Toleranz-Zone aussprechen, würde man sie befragen. Kümmert Sie das?

Das mag so sein. Als Polizist kann ich mir das nicht aussuchen. Wir haben Gesetzesregelungen und da müssen wir einschreiten.

Haben Sie sich noch nie eine andere Drogenpolitik gewünscht?

Wir sind uns bewusst, dass die Polizei das Thema illegale Drogen nicht lösen wird. Wir versuchen wirtschaftlich störend tätig zu werden. Im Umfeld der Handelsplätze werden zunehmend auch andere Straftaten und vor allem Gewalttaten begangen. Das müssen wir bekämpfen und durch unsere Anwesenheit auch vermeiden helfen.

Fühlt man sich als Polizist im Kampf gegen die Drogen nicht manchmal wie ein Hamster im Rad?

Das Problem hat man als Polizei öfter, dass man dem gesetzlichen Auftrag folgt, aber manchmal nicht so ganz zufrieden ist mit dem, was folgt. Polizeiintern sagen wir dazu: Wind um die Ecke schaufeln. Aber ich muss mich aufs Formale zurückziehen: Wenn die Drogenpolitik Cannabis als illegale Drogen definiert, müssen wir das verfolgen.

■ Im Görlitzer Park in Kreuzberg ist der Besitz und Konsum von Cannabis und anderen illegalen Drogen ab dem 31. März verboten. Grundlage dafür ist die „Allgemeine Verfügung zur Umsetzung des § 31a Betäubungsmittelgesetz“. Auf Initiative der CDU im Senat ist die bestehende Verordnung in zwei Punkten geändert worden.

■ So können Grün- und Erholungsanlagen vom Polizeipräsidenten und Generalstaatsanwalt fortan zur Null-Toleranz-Zone erklärt werden, wenn diese durch Drogenhandel und damit zusammenhängende Straftaten erheblich beeinträchtigt werden. Das heißt: Die Toleranzregelung, wonach der Besitz von bis zu 15 Gramm Cannabis straffrei bleibt, gilt dort nicht mehr.

■ Justizsenator Heilmann spricht von einer „Lex Görli“. Die Regelung gelte „bis auf weiteres“ nur für den Görlitzer Park.

■ Die Grenze für die Null-Toleranz-Zone ist die im Bebauungsplan ausgewiesene Parkgrenze. Ergo: Ein einziger Schritt kann darüber entscheiden, ob es ein Strafverfahren gibt oder nicht. Verbotsschilder würden nicht aufgestellt. Diese könnten den Eindruck erwecken, außerhalb der Zone seien Drogen erlaubt, sagt Senator Heilmann. Auch in Schulen gilt die Eigenbedarfsrichtline fortan nicht mehr. (plu)

Wie sieht Ihr Kontakt zu Monika Herrmann, der grünen Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, aus?

Wir treffen uns einmal im Vierteljahr mit Frau Herrmann und allen Stadträten im Bezirksamt. Das ist ein fester Turnus. Da werden alle relevanten Themen besprochen, auch auf strategischer Ebene. Bezogen auf das Refugee-Thema hatten wir sehr viel Kontakt, besonders als der Oranienplatz noch bewohnt war und geduldet vom Bezirk. Wir haben natürlich sehr viel Kontakt wegen all der Dinge, die sich um die Gerhart-Hauptmann-Schule drehen. Wir haben viel Kontakt zum Thema Görli und Umgebung. Und auch zunehmend Gespräche zum Thema Revaler und Warschauer Straße, RAW-Gelände.

Frau Herrmann wird öffentlich viel kritisiert. Sie halte sich nicht an Absprachen, würde rumlavieren. Wie ist Ihre Erfahrung?

Das kann ich aus polizeilicher Sicht nicht bestätigen.

Zum Schluss noch ein Wort zum 1. Mai. Liefert die Polizei mit der Null-Toleranz-Zone im Görlitzer Park nicht einen Aufhänger für Krawalle?

Das glaube ich nicht. Ich gehöre ja zu den Akteuren, die 2003 das Myfest zur Befriedung mit aus der Taufe gehoben haben. Die positive Entwicklung wird weitergehen.

Haben Sie mal überlegt, die Sonderzone am 1. Mai auszusetzen, weil es im Park sowieso Tausende tun werden?

Die Gesetzeslage gilt auch am 1. Mai. Aber das Thema wird sicher nicht ganz oben auf unserer Liste stehen. Da haben wir andere Prioritäten.