Gauck gegen Stasi-Rauswurf

AKTEN Früherer Behördenchef kritisiert Umgang mit ehemaligen Stasi-Mitarbeitern in der Unterlagenbehörde. Das Gesetz, das ihre Versetzung regeln soll, nennt er „bedenklich“

BERLIN taz | Der ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten, Joachim Gauck, hat die Neufassung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes kritisiert. „Dass diese gesetzliche Regelung tatsächlich von Abgeordneten durchgewinkt worden ist, halte ich für bedenklich“, sagte Gauck der taz.

Ein neuer Passus in dem Gesetz soll es ermöglichen, dass sich die Unterlagenbehörde von 45 bei ihr beschäftigten ehemaligen Stasimitarbeitern trennt. Nach der Verabschiedung in Bundestag und Bundesrat muss die Novelle noch vom Bundespräsidenten unterzeichnet werden, damit sie am 1. Januar 2012 in Kraft treten kann.

Gauck hatte als erster Aktenbeauftragter vor 20 Jahren mehrere Mitglieder des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) übernommen. Er sieht „keinen Grund, diese Entscheidung infrage zu stellen“. Der taz sagte er: „Um es mal ganz deutlich zu sagen: Ein Teil dieser Leute hat uns unendlich viele Kenntnisse gebracht.“ Diese Kenntnisse halfen damals unter anderem dabei, die Akten zu dechiffrieren.

Der seit März amtierende Unterlagenbeauftragte Roland Jahn dagegen will durch die Neufassung des Gesetzes erreichen, dass er Ex-Stasi-Mitarbeiter in andere Bundeseinrichtungen versetzen kann. Er kritisierte gegenüber der taz, es sei „jahrelang nicht offen über die Beschäftigung dieser Mitarbeiter gesprochen worden“. Ihm gehe es nicht darum, ehemalige Stasi-Leute zu bestrafen. „Es geht darum, den Opfern der Staatssicherheit zu helfen. Natürlich unter der Bedingung von Recht und Gesetz. Wer mich kennt, weiß, was für ein glühender Verfechter des Rechtsstaates ich bin.“

Marianne Birthler, die die Behörde nach Gauck leitete, sagte, „der Streit um die Vergangenheit ist noch ganz lebendig. Nicht nur bezogen auf die Stasiakten, sondern auf die ganze DDR. Die Menschen, um die es dabei geht, leben ja fast alle noch.“

Joachim Gauck sagte, er und auch seine Nachfolgerin Birthler hätten „immer darauf geachtet, dass wir bei diesen Stasi-Unterlagen eine Koalition der Vernunft hatten zwischen jeweiliger Opposition und jeweiliger Regierung“. Dass sich dies nun gerade ändere, bedaure er. In den vergangenen Tagen hatten Bundestagsabgeordnete von SPD und Grünen den Bundespräsidenten aufgefordert, die Gesetzesnovelle nicht zu unterschreiben.

Am 29. Dezember jährt sich das Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetztes zum 20. Mal. „Dass diese Akten zugänglich gemacht und vor der Vernichtung gerettet wurden, ist eine zivilisatorische Leistung“, sagte Birthler.

Die ganze Geschichte, sonntaz SEITE 20–22