Früher war mehr Lametta

… und auch mehr Tannenbäume. Weil aber alles nicht nur teuer wird, sondern auch immer umweltfreundlicher, verzichtet man im Norden zusehends auf die metallene Weihnachtsdekoration und leistet sich dafür ein besser geratenes Nadelgewächs. Die Baumproduzenten sehen es mit Argwohn

500.000 illegal gefällte Bäume werden nach Schätzungen der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände in diesem Jahr zu Weihnachten in deutschen Wohnzimmern stehen. Dadurch entstehe Waldbesitzern und Händlern ein Schaden von 20 Millionen Euro, so der Verband weiter. Es gebe professionelle Räuber, die nachts mit Lastwagen in den Wald fahren und 200 Bäume abholzen. Dann gebe es jene, die aus materieller Not ihren Baum illegal schlagen. In den Tagen vor Heiligabend seien vermehrt Familienväter im Wald anzutreffen, die Christbaum-Diebstahl als eine Art Sport ansehen und dazu ihre Kinder mitnehmen. Bundesweit werden nach Angaben des Verbands in diesem Jahr hierzulande rund 25 Millionen Weihnachtsbäume stehen.  DPA

von JESSICA RICCÒ

Mit weißen Weihnachten wird es in Norddeutschland vermutlich auch dieses Jahr wieder nichts. Für das richtige Flair kann dann nur noch ein reichlich geschmückter Tannenbaum sorgen. Eine schöne große Nordmanntanne zum Beispiel, voll mit Lametta und anderem vergänglichen Zeug. Gut, so ganz umweltfreundlich ist das ja nicht, den Baum einfach abzuhacken, nachdem er im Schnitt zehn Jahre wachsen durfte und der Welt etwas CO2 abnahm. Könnte man ja auch stehen lassen, sieht ja hübsch aus, so ein Wald.

Dieses quälende Klimaschützerstimmchen im Kopf lässt sich mittlerweile aber leicht ausknipsen: Auch an Weihnachten kann auf Umweltfreundlichkeit geachtet werden. Ein Gütesiegel verspricht dem Käufer ab sofort, dass die Bäume ohne Genmanipulation, Pestizide oder Dünger gewachsen sind. Solche Tannen bietet zum Beispiel das Hamburger Forstamt an. Die mit dem „FSC“- Siegel des „Forest Stewardship Council“ gekennzeichneten Bäume landen dann zwar auch nach einer Woche auf dem Kompost – belästigen aber den Waldboden wenigstens nicht weiter mit Giftstoffen. Natürlich steigen mit der Einführung des Gütesiegels auch die Preise ein bisschen – immerhin 15 Prozent teurer sind Nordmanntannen, die Weihnachtsbaumfavoriten, in diesem Jahr.

Ein weiterer Grund für die Verteuerung ist aber auch das geringere Angebot an Weihnachtsbäumen. „Seitdem der Getreidebau wieder lohnenswerter geworden ist, sind viele Landwirte von der Baumzucht auf Ackerbau umgestiegen“, erklärt etwa Christian von Burgsdorff von der Arbeitsgemeinschaft Schleswig- Holsteinischer Weihnachtsbaumproduzenten. Da die Nordmanntanne in diesem Jahr pro Meter zwischen 18 und 20 Euro koste, gehe beim Kunden der Trend zum kleineren Baum: „Die Käufer stellen sich dann lieber eine kleine Tanne auf den Tisch – gerade in Norddeutschland achtet man mehr auf Qualität statt Quantität am Baum.“

In anderen Worten: In Bayern sind ein paar kahle Stellen am Baum halb so wild – dort passen dann ja Christbaumkugeln rein. Gen Norden aber wird die Baumdeko zunehmend puristisch. „Wer einmal jedoch die Vorteile eines kleinen Baumes entdeckt“, befürchtet von Burgsdorff, „entscheidet sich in den folgenden Jahren selten wieder für einen 2,50 Meter hohen Baum.“ Der Preisanstieg könne dadurch gar Auslöser für das Ende des klassischen großen Baums sein – Hauptsache, irgendwas ist dekoriert.

Vor allem den niedersächsischen Baumschulen kommt der steigende Preis zugute: Nachdem das Orkantief „Kyrill“ im vergangenen Januar große Teile der Bestände in Nordrhein-Westfalen beschädigte, versorgen nach Angaben der Umweltschutzorganisation Robin Wood nun die Wälder zwischen Göttingen und dem dänischen Århus Deutschland mit Tannenbäumen.

25 Millionen eigens für Heiligabend gefällte Tannen waren das im vergangenen Jahr, dazu kommen schief gewachsene und beschädigte Bäume, die zu Adventskränzen gebunden werden. Von wachsender Bedeutung: Die Versorgung Chinas und Saudi-Arabiens mit Bäumen. „Wir haben gar nicht genug Ware, um die Chinesen zu bedienen“, erklärt von Burgsdorff. Gerade dort sei ein kitschig geschmückter Tannenbaum ein Symbol für Wohlstand und Shopping-Kultur. Derweil gibt der Pharmakonzern „Biolyse“ an, eine sinnvolle nachweihnachtliche Verwertung für die Bäume gefunden zu haben: Aus einer aus Tannennadeln gewonnenen Säure könne ein Arzneimittel gegen Grippe hergestellt werden.

Robin Wood empfiehlt übrigens, komplett auf die Abholzung norddeutscher Wälder zu verzichten und nach Alternativen für einen echten Baum zu suchen: Tannenbaumförmige Gebilde aus Draht, Filz oder Holz. Und am besten kein Lametta.