Krieg der Sterne

CRICKET-WM Im Traumfinale der beiden Co-Gastgeber schlägt der Favorit Australien dank seiner unberechenbaren Powerwerfer Neuseeland recht deutlich

Beim Vorrundenspiel Indien – Pakistan sollen eine Milliarde Menschen live vor dem TV dabei gewesen sein

Cricket, das alte Spiel des Commonwealth, gilt bei uns als schwer langweilig, zumindest übermäßig langatmig. Es dauert auch lang: schon die kürzere One-Day-Version, wie jetzt beim World Cup gespielt, etwa acht Stunden. Die längere heißt Five-Day-Match und endet, dank der schrulligen Regeln, oft unentschieden. Cricket scheint ein Therapeutikum wider das hektische Dasein.

Scheint. In Wahrheit kann Cricket ganz schön mitreißend sein. Das Grundprinzip: Erst wirft das eine Team maximal 300 Bälle auf das 71 mal 23 Zentimeter kleine gegnerische Hölzchen-Tor („Wicket“), das von einem Batsman mit dicker Keule verteidigt wird. Dieser muss gleichzeitig versuchen, den Hartlederball möglichst oft möglichst weit möglichst geschickt wegzudreschen. Dann gibt es Runs. Aber wehe, der Ball wird aus der Luft gefangen; dann ist der Schläger raus (genauso, wenn sein Wicket getroffen wird). Und ein neuer kommt in Spiel. Zehn hat jedes Team – sind alle raus oder die 300 Bälle gespielt, dann gibt es ein Ergebnis für Team 1, etwa die sehr mäßigen 183, die Neuseeland als erstes Battingteam im Finale schaffte. Danach geht es andersherum.

Wenn man die Regeln mit samt ihren zahllosen Verästelungen und Statistiken erst mal verstanden hat, öffnen sich neue Horizonte. Dahinter nämlich liegen tückische Taktiken und raffinierte Strategien versteckt. Man weiß nie, ob der Batsman jetzt auf Sicherheit verteidigt oder alles wagt. Zum Ende hin wird es oft wild. Cricket, heißt es, sei wie ein guter Roman: kompliziert im Aufbau, vertrackt in der Handlung, prickelnd und manchmal überraschend in der Auflösung.

Der World Cup gehört heute zu den Top-Five-Sportereignissen der Welt. Der riesige Melbourne Cricket Ground, gefüllt mit 93.000 Zuschauern, dazu der gute alte Commonwealth (ein Viertel der Weltbevölkerung) vereint vor dem TV. Beim Vorrundenspiel Indien – Pakistan sollen laut BBC-Schätzungen eine Milliarde Menschen live dabei gewesen sein – kaum weniger als beim Fußball-WM-Endspiel. Im Halbfinale zerlegten die Australier Titelverteidiger Indien mit Superstar Virat Kohli haushoch, Afghanistan schaffte seinen ersten WM-Sieg (gegen Schottland). Der Cricket-Erfinder England strich in der Vorrunde mit vier Niederlagen, zuletzt gegen Bangladesch, blamiert die Segel.

Es war das Traumfinale der Co-Gastgeber. Gut gegen böse –eine neuseeländische Zeitung baute Parallelen zu „Star Wars“ auf: die neuseeländischen Rebellen um Kapitän Brendon McCullum alias Han Solo gegen das gastgebende Imperium unter Kontrolle von Kapitän Michael Clarke alias Darth Vader. Australien, vierfacher Titelträger, war deutlicher Wettfavorit, obwohl die titellosen Kiwis das Vorrundenspiel gegen den Erzrivalen hauchdünn gewonnen hatten.

Neuseeland hatte gleich zu Beginn die besten Batsmen aufs Feld geschickt. Doch Martin Guptill, der gegen die West Indies mit 237 Runs einen Worldcup-Rekord aufgestellt hatte, und Brendon McCullum waren schnell raus; dabei blieb Brendon-Han McSolo sogar ohne jeden Run. Dann wurde es besser, aber kaum richtig gut. Drei Kiwi-Batsmen gingen binnen weniger Minuten nacheinander. Bum-Bum-Bum. Der Verlierer-Hattrick. Australien hatte unfassbar aggressive, unberechenbare Powerwerfer.

Halbzeit 2 – die Aussie-Keulenschwinger sammelten Einzelruns, defensiv darauf bedacht, bloß keine Batsmen zu verlieren. Der neuseeländische Werfer Daniel Vettori, eine Erscheinung wie ein vollbärtiger Harry Potter, humpelte sogar – und nichts lief mehr. Cricket näherte sich seinem langweiligen Status. Nach dem extrem vorzeitigen Ende mit dem 184. Run (101 Würfe waren übrig, also über ein Drittel) öffneten die Aussie-Fans voller Enthusiasmus die letzten Foster’s-Vorräte, Mitchell Johnson und James Faulkner ließen sich für ihre Final-Hattricks feiern. Melbourne, ein ekstatisches Oval in Gelb. „I am over the moon“, sagte Kapitän Darth Vader freudetrunken. Australien war zu überragend, um ein spannenderes Finale zuzulassen.

BERND MÜLLENDER