Bernwards Türen trocken legen

Im Hildesheimer Dom sind die Mauern feucht und die Heizung und Elektrik sind marode. Ab 2010 soll der Dom für 20 Millionen Euro saniert werden. Dem Bischof Bernward, der einst Türen und Säule nach römischem Vorbild schaffen ließ, würde es gefallen

Ob der Weltkulturerbe-Titel nur für Türen und Säule oder für den ganzen Dom gilt, weiß bis heute niemand

Doch, er war schon fromm. Und er konnte gut malen. Evangeliare zum Beispiel. Prächtige Bibeleinbände, die noch heute bei mancher Prozessionen herumgetragen werden. Andererseits ist Bischof Bernward von Hildesheim (960–1022) für seinen König auch schon mal in den Krieg gezogen. Zudem hat er Trutzwälle um die Stadt ziehen lassen, die um 1000 auch weltliches Machtzentrum war. Innerhalb der dicken Mauern hat er dann wiederum Kunst und Kultur befördert und etwa die Hildesheimer Werkstätten gegründet. Die Michaeliskirche, wichtiges Beispiel frühromanischer Kirchenbaukunst, entstand auf Bernwards Initiative. Außerdem ließ er den 872 erbauten Dom zur Domburg erweitern.

Eben dieser Dom soll ab 2010 komplett saniert werden, damit er auch weiterhin demonstrieren kann, worin Bernwards Vision einst bestand: Das Hildesheim der Sachsenkaiser sollte würdiges Abbild Roms werden – nicht im Detail natürlich. Aber exemplarisch und in kluger kunsthistorischer Verfeinerung. Denn Bernward dachte weit über Kunsthandwerk und Repräsentation durch pure Größe hinaus. Deshalb ließ er nicht nur die beiden Kirchen bauen, sondern orderte auch Ausstattung vom Feinsten: die Bernwardstüren und die Bernwardssäule zum Beispiel, die Hildesheim so Touristen-tauglich machen. Für Motiv und Form hatte der Bischof nach Rom geschaut, ohne zum Kopisten zu werden: Die Bibelgeschichten auf den Bernwardstüren sind den ältesten Kreuzigungs-Darstellungen auf den Holztüren von Santa Sabina nachempfunden. Und die Bernwardssäule ist eine schlaue Umdeutung der römischen Kaisersäulen: Während dort Kriegszüge gerühmt wurden, pries Bernward das Leben Christi. Eine Brechung, die sich im Material fortsetzte: Nicht wie die Vorbilder, aus Holz oder Stein, sondern aus dem ungleich wertvolleren Bronze ließ Bernward seine Werke gießen. Die ersten dreidimensionalen Bronzegüsse nördlich der Alpen sind es obendrein.

Da konnte der drum herum zu bauende Hildesheimer Dom nur noch schmückende Hülle sein – und er ist es bis heute: Nach dem Zweiten Weltkrieg stand kein Stein auf dem anderen, und der Wiederaufbau der Fünfziger basierte auf vagen Annahmen dessen, was der romanische Bau einst gewesen war.

Doch jetzt droht er zu zerfallen. Das muss, besonders angesichts seines 1.200. Geburtstags im Jahr 2015, verhindert werden. „Wir haben akute Probleme mit Elektrik, Heizung und Akustik. Außerdem beobachten wir eine starke Durchfeuchtung der Außenwände“, gibt Norbert Kesseler, Leiter des bischöflichen Bauamts, zu Protokoll. 20 Millionen Euro soll die 2010 beginnende, auf drei Jahre angesetzte Sanierung kosten, von denen das Bistum Hildesheim 7,2 beisteuern will. Zwei Millionen Euro hat die niedersächsische Landesregierung zugesagt. Außerdem hofft man auf Stiftungen und Spenden.

Und wenn man das Sanieren einmal begonnen hat, kann man auch gleich ein paar Dinge korrigieren, „die in den Fünfzigern ein bisschen voreilig konzipiert wurden“, sagt Kesseler diplomatisch. Da wären zum Beispiel die monumentalen Stützen an der Orgelempore – „ein monumentales Kreuzgratgewölbe, das historisch dort nicht belegt ist“. Das will man durch eine filigraner wirkende Betonkonstruktion ersetzen.

Auch die Entscheidung, den Chor künftig durch eine Mauer vom Kirchenraum zu trennen, damit der Domchor dort proben kann, basiert nicht auf historischen Grundrissen. Aber der Wiederaufbau der Fünfziger eben auch nicht, und so glaubt man sich im Recht. „Das geschieht alles im Einklang mit dem Amt für Denkmalschutz“, versichert Kesseler. An einem bestimmen Stil – sei er romanisch oder nicht – orientiert man sich laut Kesseler bei der Sanierung jedenfalls nicht. Er nennt die Eingriffe „pragmatisch“.

Überhaupt ist bis heute strittig, worauf sich der 1985 verliehen Titel „Weltkulturerbe“ überhaupt bezieht: Meint er die Ausstattung oder das Gebäude, das ja gar nicht original sein kann? „Wir sind der Ansicht, dass sich der Titel auf das Ensemble bezieht“, sagt Kesseler. „Denn wenn nur Türen und Säule intakt bleiben und der Dom drum herum zerfällt, hat man ja auch nicht viel davon.“

Man könnte sie aber ins Museum verfrachten und sich die Sanierung und viel Geld sparen. „Nein, könnte man nicht“, sagt Kesseler. „Dies sind liturgische Gegenstände. Die gehören nicht ins Museum!“ Auf den aktuellen liturgischen Gebrauch etwa der Säule, auf der das Leben Christi erzählt wird, möchte er sich nicht allerdings nicht festlegen. „Im Religionsunterricht könnte man die Säule vielleicht verwenden“, sagt er zögernd. Mag sein, aber Tatsache ist, dass derlei Bibel-Illustrationen zu Zeiten flächendeckenden Analphabetentums zweckmäßiger waren als heute. Als mittelalterliche Comics waren sie quasi gedacht – als „Bibel der Armen“. Wobei die Frage, wer die obersten Bilder auf Kirchenfenstern, Türen und Säulen lesen soll, bis heute offen ist.

In Hildesheim wird man die Bernwardstüren, deren Schöpfer niemand kennt, künftig zumindest von innen lesen können: Im Zuge der Sanierung werden die Türen so gedreht, dass die Vertreibung aus dem Paradies und all das nicht mehr nach außen zeigen, sondern nach innen.

Eine Maßnahme, die auch der Sicherung der Türen dient. Allerdings eher vor Frost als vor Dieben. „Es wäre schon eine Meisterleistung, diese Türen zu stehlen“, sagt Kesseler. „Und das hat auch während der letzten 1.000 Jahre niemand versucht.“ Auch den „Tausendjährigen Rosenstock“ hat während der vergangenen paar Jahrhunderte übrigens niemand ausbuddeln wollen. Der – gleich neben dem Dom platziert – zählt nicht zum Weltkulturerbe. Dabei soll er 185 von Ludwig dem Frommen gepflanzt worden sein und seither ständig blühen. Ob Kesseler da selbst dran glaubt? Der bischöfliche Bauleiter zaudert. „Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Aber ich würde mal sagen, für meinen Glauben hat diese Frage keine Relevanz.“ PETRA SCHELLEN