Soziale Einverleibungen

Pepsi oder Coca-Cola? Die Ausstellung „Social Cooking Romania“ in der NGBK zeigt Künstler, die Kochlöffel schwingen, und die gesellschaftlichen Implikationen der Nahrungsaufnahme

VON TIM ACKERMANN

Qual der Wahl: Der kleine Junge mit den Kulleraugen sitzt am Küchentisch. Vor ihm steht ein leeres Glas. Links daneben eine Dose Pepsi, rechts eine Dose Coca-Cola. Wie wird sich der Junge entscheiden? Langsam schiebt er die Hand vorwärts. Er greift zur linken Dose und schüttet etwas Pepsi ins Glas. Alsdann greift er nach rechts und schüttet Coca-Cola hinterher. Eine undenkbare Limonaden-Melange. Der Knirps kippt die braune Plörre hinunter und grinst spitzbübisch.

Der dreiviertelminütige Videoclip des Rumänen Ciprian Mureșan über den faulen Markenzauber begeisterte schon die Besucher bei der diesjährigen Transmediale. Jetzt ist „Choose …“ im Rahmen der Ausstellung „Social Cooking Romania“ in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) wieder zu sehen. Auch in Rumänien haben designte Lebensmittel Geschichte: Pepsi, so ist im Ausstellungskatalog nachzulesen, wurde Ende der Sechzigerjahre auf dem rumänischen Markt eingeführt. Und zwar als politisch korrekte Alternative zu Coca-Cola, die von den Parteifunktionären zum dämonischen Imperialistengesöff per se hochstilisiert wurde. Im rumänischen Kontext illustriert „Choose …“ also das Ineinanderblenden zweier Ideologien. Pepsi und Coca-Cola. Kommunismus und Kapitalismus. Limonade trinken als Politikum.

Essen ist auch in der rumänischen Gegenwartskunst ein traditionsreicher Topos: 1977 drehte etwa Ion Grigorescu Super8-Filme über die rituelle Einverleibung von Fleisch. Acht Jahre später baute dann Constantin Flondor in seinem Film „(Durch)sieben und Kneten“ Landschaften aus Mehl. Unter den Bedingungen der Ceaușescu-Diktatur war die Filmsprache eher subtil und metaphorisch. Spätere Arbeiten bei „Social Cooking Romania“ thematisieren weitaus deutlicher die gesellschaftlichen Implikationen des Essens. Rumänien als kulturell diverses Land und junge Demokratie bietet da viel Stoff.

„Durch das Kochen stehen wir im ständigen Kontakt mit anderen Zeiten“, erklärt Miron Schmückle, gebürtiger Siebenbürger und Mitglied der NGBK- Arbeitsgruppe. Wobei sich Rezepte als verräterisch erweisen: „Während der Diktatur haben die Menschen das Wort für ‚Muskatnuss‘ vergessen“, sagt Schmöckle. Es gab nämlich keine.

Was es während der Diktatur offiziell auch nicht gab, war Arbeitslosigkeit. Dieses neue gesellschaftliche Phänomen brachte nach der Wende eine neue Kochtradition mit sich: das Räuchern von Fleisch auf den offenen Flächen zwischen ehemaligen kommunistischen Wohnblocks. Dies sei ein Zeichen für die neue „prekäre Situation“ der Menschen, sagt der Künstler Matei Bejenaru. 1994 stellte Bejenaru mehrere Räucheröfen auf eine Brachfläche und lud zur kostenlosen Benutzung ein. Ein Video in der Ausstellung zeigt ihn im Gespräch mit den Menschen.

„Social Cookin Romania“ beschreibt so auch die Tradition der Subsistenzwirtschaft im Land. In zahlreichen Videofilmen werden Würste geräuchert, Hähne geköpft, Schnäpse gebrannt. Hier kann sich der Betrachter in seinen Klischeevorstellungen von einem archaischen, vormodernen Rumänien bestätigt fühlen. „Man muss hinter die Klischees blicken“, sagt Schmöckle. Viele der Künstler würden eine ironische Haltung beweisen, die durchaus typisch für das Leben in Rumänien sei. Etwa im Fotozyklus „Duett“ von Iosif Király, der das Ausnehmen zweier Schweinehälften als pittoreskes Küchenballett inszeniert.

Die Hausschlachtungen und das illegale Brennen von Schnaps gehören zur Liste der bedrohten Zubereitungsarten, seit das Land im Januar 2007 der EU beigetreten ist. Im Gleichschritt mit Brüsseler Hygienevorschriften macht die Expansionswut internationaler Lebensmittelkonzerne dem rumänischen Kleinbauern den Garaus. Als bitterer Kommentar auf dieses Food Branding zeigt Künstler Vlad Nancă Schweinsfüße, die mit drei Lederstreifen verziert wurden. Während der Ceaușescu-Zeit belegte der rumänische Volksmund Schweinefüße mit dem glamourösen Namen „Adidași“.

Raluca C. E. Blidars Serie von Küchenbildern setzt dem rumänischen Kleinbauernhaushalt ein Abschiedsdenkmal. Ihre Fotografien sind den Typologien Bernd und Hilla Bechers nicht unähnlich, auch die Leipziger Kunststudentin hält fest, was im Verschwinden begriffen ist. „Es ist nicht zu leugnen, dass ich eine gewisse Sehnsucht nach Rumänien habe“, sagt Blidar, die im Alter von zehn Jahren nach Deutschland kam. Bei Besuchen im Haus ihrer Großmutter und Reisen durch die Provinz sind nun betörende Interieurfotografien mit ambivalentem Charakter entstanden. Zarte Pastellfarben und schrullige Details schaffen eine nostalgische Stimmung. Andererseits erzählen Flecken an den Wänden und fadenscheinige Teppiche von der Armut ihrer Besitzer. Und trotzdem: Während Künstler Matei Bejenaru mit Gläschen voll Marmelade bereits die Arbeitsmigration rumänischer Mütter auf spanische Erdbeerfelder beklagt, feiert Blidar ein letztes Mal die Küche als den Mittelpunkt des intakten Familienlebens.

Auf dem Bild aus der großmütterlichen Küche ist ein Bett zu sehen. Dort, im wärmsten Raum des Hauses, wurde die Urgroßmutter gepflegt. Das ist soziales Kochen im besten Sinn.

Bis 27. Januar, NGBK, Katalog 12 €