Offshore im Grenzland

Seit zehn Jahren plant Niedersachsen Offshore-Windräder vor Borkum. Doch die liegen, nach Auffassung der Niederlande, in ihrem Staatsgebiet

VON MARCO CARINI

Die Angelegenheit ist grenzwertig, hochsensibel und könnte zu diplomatischen Verwicklungen führen. Seit fast zehn Jahren plant die niedersächsische Landesregierung 15 Kilometer nordwestlich von der Insel Borkum einen Offshore-Windpark, eines der zentralen Pilotprojekte für diese neue Technologie. Jetzt erhebt die niederländische Regierung Einspruch gegen das Mammut-Vorhaben. Denn nach Auffassung des „Ministerie van Landbouw, Natuur en Voedselkwaliteit“ besitzt der geplante Park einen Schönheitsfehler. Er liegt zur Hälfte in niederländischem Hoheitsgebiet, ist damit von Niedersachsen überhaupt nicht genehmigungsfähig.

Die Nachricht löste hektische Betriebsamkeit aus. Zwischen dem niedersächsischen Umweltministerium, der Staatskanzlei und dem Auswärtigen Amt glühten in den vergangenen Tagen die Leitungen. Denn in der Tat ist der Grenzverlauf zwischen den Niederlanden und der Bundesregierung im Bereich der Emsmündung nicht genau geklärt – und das schon seit 60 Jahren.

„Wir brauchen Rechtssicherheit für die Investoren“, sagt Niedersachsens Umweltminister Hans-Heinrich Sander jetzt gegenüber der taz. Obwohl die Planungen für den sechs Quadratkilometer großen Windpark, in dem 44 Windräder aufgestellt werden sollen, seit Ende der neunziger Jahre laufen, blieb der Grenzkonflikt die ganze Zeit ungeklärt. „Wir haben das Problem auf uns zukommen sehen“, gesteht Sander heute ein. Doch gelöst wurde es nicht – ganz offensichtlich wollte keine der an der Planung beteiligten Behörden schlafende Hunde wecken.

Letzter Stand des Grenzkonflikts: Vergangenen Freitag „beehrte“ das von der Niedersächsischen Staatskanzlei eingeschaltete Auswärtige Amt „die Botschaft des Königreichs der Niederlande“ mit einer Verbalnote. Im schönsten Diplomatendeutsch und „nur aus Gründen der Courtoisie und im Geiste guter Nachbarschaft“ belehrt das Amt den Nachbarn darüber, dass nach seiner Ansicht der Windpark „im deutschen Hoheitsgebiet errichtet werde“. Da so eine Note nach allen diplomatischen Spielregeln nur verfasst werde, „wenn beide Seiten zuvor darüber gesprochen haben“, glaubt Sander nun, „dass es jetzt zu einer Duldung von niederländischer Seite kommt“. Eine offizielle Bestätigung dieser Duldung steht allerdings noch aus. Trotzdem glaubt Sander, dass das Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg den Bauvorbescheid „wie geplant am 23. Januar erteilen kann“.

Das allerdings sehen die niedersächsischen Grünen anders. Ihr Fraktionschef im Landtag, Stefan Wenzel, befürchtet, dass aufgrund des Grenzstreites „Schadensersatzforderungen in Millionenhöhe und diplomatische Verwicklungen auf Niedersachsen zukommen werden“. Offensichtlich habe das Land es „versäumt, mit den niederländischen Behörden eine Abstimmung vorzunehmen“. Zumindest aber von „zeitlichen Verzögerungen“ bei der Realisierung des Projekts sei nun auszugehen.

Zu denen wird es tatsächlich kommen – wenn auch aus anderen Gründen. Kaum war die Meldung über den Grenzstreit raus, da verkündete das im ostfriesischen Bunderhee beheimatete Planungsunternehmen „Enova Energiesysteme“ den Abschied vom aktuellen Zeitplan. „Wir rechnen jetzt mit 2011 oder 2012 als Baubeginn“, verkündete eine Sprecherin der Firma, auf deren Website noch die Jahre 2008 und 2009 als Zeitpunkt für die ersten Errichtungsmaßnahmen angegeben sind. Auch in Hannover geht man davon aus, dass dieser Termin nach wie vor gültig ist. „Wir wissen nichts von einer Verschiebung und sehen aus unserer Sicht auch keine Notwendigkeit dazu“, sagt die Sprecherin des Umweltministeriums, Jutta Kremer-Heye.

Enova-Chef Helmut Brümmer hingegen bestätigte gegenüber der taz, dass der Baubeginn sich um rund drei Jahre verzögern werde. Das Genehmigungsverfahren habe sich verzögert, mit einem endgültigen Baubescheid sei vor 2009 nicht zu rechnen. Da zudem die Anlagen-Lieferanten Lieferengpässe hätten und die Finanzierung des rund eine halbe Milliarde teuren Windprojekts noch nicht steht, sei eine Aufnahme der Arbeiten noch im laufenden Jahrzehnt nicht mehr realistisch.