: Integration mit Kerzen und Geschenken
FREUDE Lale Akgüns warmherzige Erzählung „Kebab-Weihnacht“ – nicht ganz ohne pädagogische Absichten, aber wunderbar leicht
VON INGO AREND
Umut ist ein Weihnachtsfreak. Der 17-jährige Türke ist zwar Muslim. Doch schon als kleiner Junge liebte er Weihnachten über alles: den Glanz der Lichter, die Wärme, die Schönheit des Weihnachtsschmucks. In seiner konservativen Familie hat der Azubi in einem Kaufhaus es damit schwer. Sein strenggläubiger Vater wettert gegen den christlichen Brauch. Damit, so glaubt er, sollten Muslime missioniert werden. Selbst Gummibärchen kommen ihm nicht ins Haus. Schließlich sei da „Schweinegelatine“ drin.
Umuts Mutter Hülya und seine Schwester Ayla wagen es nicht, dem Familienoberhaupt zu widersprechen. Das unter den Einfluss religiöser Eiferer geraten ist. „Er war knackkonservativen Typen auf den Leim gegangen und hatte sich einen Vollbart wachsen lassen. Jetzt gab es zu Hause nur noch ein Wort: Sünde – Sünde – Sünde“, ärgert sich Umut. Was war das für eine schöne Zeit gewesen, als sie wenigstens noch Weihnachtsplätzchen hatten backen können.
Aber immerhin: Bei den Rohowskys, den deutschen Nachbarn der türkischen Einwanderer aus der Osttürkei, stößt er mit seiner Weihnachtssehnsucht auf Gegenliebe. Als die Rentner Umuts Design-Talente entdecken, geben sie ihm den Auftrag, ihren Weihnachtsschmuck rund zu erneuern. Mit Feuereifer macht sich Umut an die Aufgabe.
„Kebab-Weihnacht“, der Titel des kleinen Bändchens der 1953 in Istanbul geborenen Lale Akgün, die heute in Köln lebt, ist ein irreführender Titel. Denn das Fest, das in dieser Geschichte am Ende doch gefeiert wird, ist gar keine muslimisch-christliche Kreuzung, bei dem Jesus am Spieß gegrillt wird. Sondern ein typisch deutsches Weihnachten.
Umut würde seinen ganz privaten Weihnachtsbaum, wie er sich selbst wundert, am liebsten ganz klassisch schmücken: grün, gold und rot. Und weil nun der Wunsch nach dem eigenen Baum so nagt, verfällt der sanfte junge Mann eines Tages auf eine waghalsige Idee. Um seinen Traum zu verwirklichen, mietet er sich in einer WG ein. Und weil seine Mutter eines Tages beschließt, sich nicht länger von ihrem Mann bevormunden zu lassen, feiert sie den Heiligen Abend zusammen mit ihrem Sohn dort: mit Weihnachtsbaum, Kerzen und Geschenken.
Das klingt nach einem schweren Fall von Assimilation. Jener vollständigen Anpassung an die Kultur des Einwanderungslandes, die der türkische Ministerpräsident Erdogan einmal als „Verbrechen an der Menschlichkeit“ gegeißelt hatte. Und das in einem Land, dessen Bewohner darüber streiten, ob sie Weihnachten nicht „hassen“ müssten, weil es so uncool und zum Konsumterror entartet ist.
Doch in Akgüns Geschichte kriecht der junge Muslim nicht dem christlichen Ritus zu Kreuze. Wenn Umut beim Weihnachtsverkauf im Kaufhaus das beglückende Gefühl hat, „Teil eines Ganzen“ zu sein, entpuppt sich sein Fetisch als reines Symbol: eines für seine Sehnsucht nach einem „Gefühl der Geborgenheit“, für seinen Wunsch, dort „dazuzugehören“, wo er lebt: „Was wussten die anderen von seinen Gefühlen?“, denkt sich Umut einmal. Was wussten sie „von den Gefühlen eines Menschen, dem ein Stück Normalität vorenthalten wurde. Der nicht dort zu Hause sein durfte, wo er lebte. Und dort, wo er lebte, nicht von Heimat sprechen durfte.“
Man sieht schon: Ganz ohne pädagogische Hintergedanken schreibt diese Autorin nicht. Von 2002 bis 2009 saß Akgün für die SPD im Deutschen Bundestag. In ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen kämpft sie für Gleichstellung und Integration. Und wenn sich am Ende dieses „muslimischen Weihnachtswunders“ ein Neubeginn in Umuts Familie abzeichnet, übertreibt sie es mit der Signalwirkung. Ganz so konfliktlos dürfte die Wende zur Liberalität, auf die sie hinarbeitet, in vielen Migrantenfamilien wohl kaum gelingen.
Trotzdem hat das Buch der einstigen Islambeauftragten ihrer Partei nichts von einem Pamphlet. Sondern ist eine wunderbar leicht und warmherzig geschriebene kleine Erzählung.
Ihren Protagonisten kommt die psychologische Ausbildung ihrer Erfinderin zugute, so einfühlsam und differenziert sind sie gezeichnet: Umuts Schwester Ayla etwa, die ihr modernes Leben vor ihrem Vater geschickt unter einem Kopftuch verborgen hält. Oder Umuts Mutter, die einst als moderne Frau nach Deutschland kam und im konservativen Migrantenmilieu schließlich resignierte. Akgün zielt auf die Reform des Islam von innen. „Kebab-Weihnacht“ ist eine literarische Ermutigung, sich von den Zwängen der eigenen Kultur zu emanzipieren und vorurteilslos dem Anderen zuzuwenden.
Ganz nebenbei räumt sie dabei noch ein Symbol der Mehrheitsgesellschaft ab. Wenn Umut nämlich seiner irritierten Mutter freudestrahlend erklärt, Weihnachten sei doch „für alle“ da, entchristianisiert er dieses Symbol mit derselben entwaffnenden Freundlichkeit, mit der der Weihnachtsexperte seinen Kunden im Kaufhaus das Gefühl vermittelt, sich „einen maßgeschneiderten Traum zu kaufen“. So verwandelt sich Weihnachten plötzlich in eine wunderbar gottlose Metapher für nichts als die reine Freude – quer durch alle Religionen.
■ Lale Akgün: „Kebab-Weihnacht“. Aufbau-Verlag, Berlin 2011, 109 Seiten, 12,99 Euro
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen