„Tutsi sind Schlangen“, steht auf dem Flugblatt

13 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda belegt ein Untersuchungsbericht verbreitete ethnische Hetze an Oberschulen

BERLIN taz ■ In der Oberschule Acedi de Mataba müssen Tutsi-Schüler, die den Völkermord überlebt haben, besondere Uniformen tragen. Ein Flugblatt auf dem Schulgelände verkündet: „Tutsi sind Schlangen, wir wollen sie nicht mehr und wir werden sie töten.“ In der Oberschule von Gaseke zirkulieren Hetzflugblätter: „Betet, denn auch wenn wir euch nicht in Stücke schneiden, verhexen wir euch.“ Aus der Oberschule Maria Friedenskönigin in Rwamagana werden wiederum aus Schülergesprächen abfällige Äußerungen von Tutsi über Hutu gemeldet.

Die Hutu-Tutsi-Feindschaft aus der Zeit des Völkermordes in Ruanda ist noch lebendig, lautet die Essenz dieser Vorfälle. Zusammengefasst in einem voluminösen parlamentarischen Untersuchungsbericht, der am 10. Dezember vorgelegt wurde, dienen sie nun als Grundlage erregter Befragungen der zuständigen Minister. „Die Völkermordideologie ist ein Krebsgeschwür im Land, das die ganze Gesellschaft zerstören kann“, warnte der Abgeordnete Ezechias Rwabuhihi.

In Ruanda wurden 1994 zwischen April und Juni über 800.000 Menschen, zumeist Tutsi, von Militär und staatlich angeleiteten Hutu-Milizen umgebracht, um die Tutsi-Minderheit auszurotten. Der Genozid endete mit dem militärischen Sieg der Tutsi-Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front), die unter Präsident Paul Kagame seitdem regiert. Die Aufarbeitung des Völkermords steht bis heute im Zentrum der Politik.

Untersuchungen zum zehnten Jahrestags des Genozids 2004 ergaben aber, dass ein Drittel der Bevölkerung nach wie vor hinter dem Denken steht, wonach die Tutsi aus Ruanda verschwinden sollen. Um diese Ideologie aus der Politik herauszuhalten, hat die Regierung drakonische Gesetze gegen „Divisionismus“ erlassen. Diese dienen zuweilen auch zur Einschränkung politischer Aktivitäten.

In der Gesellschaft misst sich der Erfolg dieser Politik daran, ob Ruandas Jugend heute anders denkt als ihre Eltern. Dafür sind die Schulen der wichtigste Ort. Es gibt aber heute in Ruandas Schulen keinen Geschichtsunterricht mehr. Damit wird die Überlieferung der Vergangenheit dem Erzählen in der Familie überlassen – oder der informellen Indoktrinierung. Zum Jahresende sollen in Ruanda die landesweiten, „Gacaca“ genannten Völkermord-Dorfgerichte ihre Arbeit beenden. Unabhängige Beobachter äußern die Vermutung, ruandische Hutu-Exilpolitiker verstärkten derzeit aus diesem Anlass ihre propagandistischen Aktivitäten innerhalb Ruandas. Außerdem haben die Kämpfe in der benachbarten Demokratischen Republik Kongo auch in Ruanda Spannungen produziert – vor allem dort, wo Angehörige von im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Milizionären neben aus dem Kongo geflohenen Tutsi leben. Dieses Jahr führte Ruandas Regierung neue maschinenlesbare Personalausweise ein, unter anderem um das Einsickern von Kämpfern aus Kongo zu verhindern.

Die Kontroverse um das Bildungssystem offenbart die Schwäche der staatlichen Versuche in Ruanda, den Bürgern ein „neues Denken“ zu verordnen. Zunächst setzten die Parlamentarier am Mittwoch eine zweite Untersuchungskommission ein, die auch die als untätig kritisierte Bildungsministerin Jeanne d’Arc Mujawamariya vorladen soll. Bei den Debatten darüber sagten Abgeordnete, sie seien in manchen Schulen daran gehindert worden, Vorträge über den Völkermord zu halten. Lehrer, die ethnisches Denken förderten, müssten entlassen und notfalls angeklagt werden. Die staatliche Tageszeitung New Times kommentiert, es sei unzumutbar für Tutsi-Überlebende, in denselben Klassen zu sitzen wie die Kinder der Hutu-Mörder ihrer Familien. DOMINIC JOHNSON