„Carsharing wirkt sich positiv auf Lebensqualität und Umwelt aus“

ÖKOBILANZ Wiebke Zimmer vom Öko-Institut e. V. in Berlin über den Sinn von Carsharing-Modellen, die Gefahr für Bus, Tram und Co. – und Multimodalität

■ Jahrgang 1971, stellvertretende Leiterin des Bereichs Infrastruktur & Unternehmen des Öko-Instituts, hat Chemie studiert, in Physik promoviert.

INTERVIEW MARIE-THÉRÈSE HARASIM

taz: Frau Zimmer, Sie forschen zur Nachhaltigkeit von Carsharing – nutzen Sie es selbst?

Wiebke Zimmer: Ich fahre kein Auto.

Warum nicht?

Ich weiß es nicht … Ich bin ehemalige Westberlinerin, habe zwar meinen Führerschein gemacht, bin aber nie gefahren, ich brauchte das nie. Mein Freund hingegen hat ein Auto, das nutzen wir, wenn wir im Sommer an den Wochenenden an den Ort außerhalb Berlins fahren, an dem wir uns gerne aufhalten. Der ist nicht gut angebunden, keine Einkaufmöglichkeit in Fahrradfahrnähe usw.

Gibt es Milieus, die vollkommen ohne Auto auskommen?

Ich denke, Westberlin war eine Besonderheit: Es gibt relativ viele ehemalige Westberliner aus meiner Generation, die gar keinen Führerschein haben. Auch hier im Berliner Büro des Öko-Instituts e.V. gibt es kaum jemanden, der ein Auto hat – trotz Kindern.

Junge Städter verzichten auf ein eigenes Auto – ist das ein Trend?

Klar ist, dass der Pkw als Statussymbol abgenommen hat. Aber ob sich der Trend verstetigt, dass junge Städter auf Autos verzichten, das kann man noch nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt Indizien dafür. Ich fände es gut, wenn es so wäre.

Ab wann kann man das wissen?

Einige Wissenschaftler glauben daran. Der Pkw-Besitz bei jungen Menschen geht runter, sie sind multimodaler als früher, was bedeutet, dass sie nicht auf ein Verkehrsmittel wie zum Beispiel ihr eigenes Auto fixiert sind. Andere meinen, dass es mit Mitte 30, wenn man einen Job und/oder Kinder hat, zu einer nachholenden Motorisierung kommt und dann auf das Gleiche hinaus läuft. Ob das so ist, wird die Zeit zeigen.

Woran glauben Sie?

Ich hoffe, (lacht) dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Meiner Meinung nach ist das eine Frage des Angebots. Wenn das entsprechend attraktiv gestaltet ist, was Fahrradinfrastruktur, öffentliche Verkehrsmittel und Carsharing angeht, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Menschen unter 30 auch mit über 30 keinen eigenen Pkw kaufen. Dieses Möglichkeitsfenster sollte genutzt werden.

Carsharing ist Ihrer Meinung nach eine Möglichkeit, die Anschaffung eines Autos zu verhindern …

Beim Carsharing unterscheidet man zwischen dem stationsgebundenen und dem flexiblen Carsharing. Stationsgebunden bedeutet, dass ich mir das Auto an einem festen Standort abholen kann und es am Ende der Nutzung genau dort wieder abstellen muss. Flexibles Carsharing – also Free Floating– heißt, dass ich zum Beispiel auf meiner App am Handy gucke, wo das nächste Auto steht, dort einsteige und dieses dann innerhalb eines Nutzungsbereich, etwa dem Berliner S-Bahn-Ring, frei abstellen kann. Ich kann das Auto also spontan nutzen und muss es nicht zurückbringen.

Wer nutzt das?

Durch das Flexible wurde eine vollkommen neue Nutzergruppe erschlossen, nämlich auch autoaffine Menschen. Außerdem wird das flexible Carsharing vorwiegend von jungen, höher gebildeten Personen in Großstädten genutzt, typische Early Adopter neuer Technologien.

Sind das nicht genau die potenziellen Kunden, die auf diese Weise von der Autoindustrie gebunden werden?

Das stimmt, das ist eine Motivation der Anbieter. Vielleicht kaufen die sich in zehn Jahren wirklich ein Auto; das würden sie aber auch ohne ein solches Angebot machen. Aber das hoffe ich nicht. Um dem entgegenzuwirken, müssen wir jetzt das richtige Angebot für ÖPNV, Fahrrad, Fuß und Carsharing schaffen.

Besteht nicht die Gefahr, dass Menschen aus Bequemlichkeit doch das Carsharing-Auto nutzen, das vor der Tür steht, statt zum Bus zu laufen? Bekommt der ÖPNV Konkurrenz unter dem grünen Deckmantel des Sharinggedanken?

Das ist eines der Standardargumente von Carsharing-Kritikern. Dabei kann flexibles Carsharing ohne den öffentlichen Nahverkehr nicht funktionieren. Das sehen Sie auch daran, dass es nur in Ballungsgebieten existiert, wo das Netz gut ausgebaut ist. Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, mit der Bahn oder dem Bus zu fahren, dann teile ich mir auch kein Auto, sondern kaufe mir ein eigenes.

Außerdem provoziert das pro-Minute-Preismodell zum Rasen. Dadurch steigt der Kraftstoffverbrauch. Ressourcensparend ist das nicht, schließlich geht das Auto schneller kaputt. Das kann passieren, aber darauf kommt es nicht an. Man muss gucken, was die Alternative wäre und das ist der eigene Pkw. Carsharing ist der erste Schritt.

Der erste Schritt wohin?

Richtung mehr Multimodalität. Wenn man es ganz vereinfacht darstellt, gibt es die Multimodalen ohne eigenes Auto, die Multimodalen, die noch ihren eigenen Pkw haben und auch ÖPNV und Rad nutzen – und die Autoaffinen, die nur ihr eigenes Auto nehmen. Wirklich positive Auswirkungen auf die Umwelt hat Carsharing vor allem dann, wenn man die letzte Gruppe dazu bekommt, ihr Auto abzuschaffen. Die Multimodalen, die verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombinieren, sind durchschnittlich eh schon umweltfreundlicher unterwegs.

Wie schafft man das?

Durch ein gutes Alternativangebot, Multimodalität muss zum Lifestyle werden. Zusätzlich können Restriktionen für den eigenen Pkw unterstützen. Wesentlich sind hier eine Reduktion des Parkraumes und die Schaffung von speziellen Carsharing-Stellplätzen. Dann überlegen es sich viele schon zweimal, ob sie mit dem eigenen Auto in die Innenstadt fahren, oder nicht lieber den Bus nehmen. Außerdem wird aus Parkraum Lebensraum.

Nehmen die Autoaffinen dann nicht immer ein Carsharing-Auto?

Aber das kostet doch. Es ist jetzt nicht so, dass Carsharing super günstig ist. Nach jeder Fahrt sehe ich, wie viel ich bezahle. Da frage ich mich doch zweimal, ob ich nicht mit dem Fahrrad fahre, weil eh die Sonne scheint. Außerdem ist das Entscheidende die Pkw-Besitzquote. Sie sinkt, wenn Leute sich kein eigenes Auto anschaffen. Das wirkt sich positiv auf die Umwelt aus und es ist relativ irrelevant, ob sich einer dann doch mal für das Auto statt für den Bus entscheidet. Insgesamt stehen weniger Autos in der Stadt, der benötigte Parkraum reduziert sich, es ist mehr Platz für den Radverkehr und die Lebensqualität steigt.