„Das ist mein Mann“

HAUSBESUCH Ost und West, häuslich und weltgewandt – bei Thomas Früh und Detlef Beckmann-Früh in Dresden

VON MICHAEL BARTSCH
(TEXT) UND SVEN DÖRING (FOTOS)

Dresden. Zu Besuch bei Thomas Früh und Detlef Beckmann-Früh, eingetragene Lebenspartner seit eineinhalb Jahren.

Draußen: Gründerzeithaus im Dresdner Stadtteil Pieschen, Szene-Ausweichquartier für die gentrifizierte Neustadt, nebenan das ehemalige Obdachlosenasyl. Klassische große Durchfahrt zum Innenhof, von dort der Treppenaufgang zu ihrer Wohnung. Im selben Haus: Künstler, Literaten, Architekten.

Drin: Dreizimmerwohnung mit 90 Quadratmeter, teils Stuckdecken. Balkon als Raucherinsel für Det. Geteiltes Arbeitszimmer, Fernsehzimmer, Schlafraum, Küche, im Bad ein Bündel gewaschener Krawatten für Thomas („für meine Dienstuniform“). Wenig freier Platz, Stilmix an Möbeln, große Wanduhr. Überall Erinnerungsstücke – vor allem von Reisen. Mexiko, Birma, ein „Wüstenaltar“. „Det ist der Hausmann, der einrichtet“, sagt Thomas. Alle Karl-May-Bände im Bücherregal, Weinregal, „Rotwein und Whisky gehören zur Grundausstattung“.

Wer macht was? Thomas, geboren in Karlsruhe, ist gelernter Bankkaufmann, studierte Jura in Mannheim und Tübingen, kam Ende 1990 zu einem Verwaltungspraktikum ins sächsische Finanzministerium, also in den wilden Osten. Ab 1993 im sächsischen Staatsdienst, 2007 Wechsel auf die Stelle des Abteilungsleiters Kunst im damals SPD-geführten Wissenschafts- und Kunstministerium („Nicht wegen meiner SPD-Mitgliedschaft“). Macht das gern, „aber nicht unbedingt bis in den Ruhestand“. Det ist typenreiner DDR-Proletarier, ehemals Zerspanungsfacharbeiter im Stahl- und Walzwerk Riesa (Thomas: „Hat aber mehr Bücher gelesen als ich“). Inzwischen hat er – nach dem Bundesfreiwilligendienst – auf Altenpfleger umgelernt, „will Thomas einmal pflegen“.

Wer denkt was? Thomas ist von SPD-Vorbildern wie Otto Wels geprägt, der als Einziger den Ermächtigungsgesetzen der Nazis im Reichstag widersprach. „Als Kind habe ich mehr die Indianer als die Cowboys geliebt!“ Hat als Beamter den beiden Ministerinnen eher den Rücken freigehalten als selber in der ersten Reihe gestanden, obschon er auch vor großem Publikum redet. Sein Ziel? Kunst ermöglichen und nicht selber eingreifen wollen. Sein Leitsatz? Von Luther: „Wenn morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!“ Det: „Weniger ist mehr!“ Hatte mal eine sehr anspruchsvolle Frau, während er mehr auf das Immaterielle achtet – trotz praktischer Veranlagung. Hat jetzt mehr Zeit für die Kunst.

Ossi und Wessi? Det: „Thomas ist kein Wessi“, hält ihn aber für selbstbewusster und weltgewandter. Thomas: „Die Arroganz der Wessis ist nur eine Scheinsicherheit!“ Er lief früher gern von West- nach Ostberlin, findet die Zurückhaltung der in der DDR Sozialisierten sympathisch.

Alltag: Beide haben einen unregelmäßigen Tagesablauf, Det durch Schichtarbeit, Thomas wegen diverser Veranstaltungen. Beide ertragen auch Abwesenheit: „Es muss nicht jeden Tag ein gemeinsames Abendbrot sein.“ Det ist häuslicher („bügele sogar Unterhemden“) und macht meistens Frühstück, wenn er wegen der Frühschicht schon um halb sechs aufstehen muss. Anerkannter Spezialist für Modisches, kann aus wenig viel machen und „kleine Geschenke in große Pakete verpacken“. Thomas kocht die anspruchsvolleren Gerichte. Eingekauft wird gemeinsam. Gegen den irdischen Dreck kommt eine klassische Putzfrau. Sport treibt nur der athletische Det: Laufen, Fitnessstudio, Sauna.

Schwul sein in der Öffentlichkeit: „Ob in London oder in der Wüste – wir gehen immer Hand in Hand!“ Sie sind da ganz offen, auch Thomas in seiner relativ exponierten Stellung: „Das ist mein Mann! Wobei es eigentlich keine aussichtslosere Situation gibt: Katholisch, schwul und in der SPD ?“

Kinder und Enkel: Beide hatten schon Hetero-Partnerschaften, Det hat Kinder, die jetzt 16 und 24 Jahre alt sind („Etwas möchte man doch weitergeben“). Nach dem Coming-out (Det mit 40) sind aber beide wohltuend in den Familien akzeptiert, Dets Tochter redet Thomas mit „Paps“ an. Als sie schwanger war, war Thomas so etwas wie Ersatzvater, weil das Original vorübergehend abhanden kam. Er begleitete sie zum Schwangerschaftskurs, bei der Geburt von Quasi-Enkel Richard im Mai war er Geburtshelfer („aufregend!“). Richard ist die Attraktion, aller vier Wochen verbringt er ein Wochenende bei den „Opas“, die den Kleinen liebevoll betreuen.

Erstes Date: Am 12. September 2010 nach einer Verabredung im Internet, Det war seit Mai getrennt, wollte Schwulsein endlich ausleben. „Liebe auf den ersten Blick“, sagen beide über den Treff am „Goldenen Reiter“, dem Standbild des Kurfürsten August, genannt der Starke.

Hochzeit: „Wir hätten die eingetragene Lebenspartnerschaft nicht gebraucht, aber es war uns wichtig.“ Thomas ergänzt: „Mehr Gefühlssache als rational.“ Sie tragen Verlobungs- und Ehering. Auch die Staatsministerin gratulierte. Noch am selben Tag, dem 8. März 2013, Aufbruch zu den Flitterwochen in Kambodscha und Vietnam, erst ein halbes Jahr später groß gefeiert in der Syrerkneipe Habibi in der Dresdner Neustadt.

Wann sind sie glücklich? Thomas: „Mir könnte es nicht besser gehen“, in Relation zur Arbeit wird das Private allmählich wichtiger. Det ist glücklich, wenn Thomas da ist, aber auch die ehemalige Familie spielt eine Rolle. „Mit den Jahren wird man glücksfähiger“, sagt er, entdecke auch mehr Großzügigkeit. Thomas registriert ein bewussteres Leben jenseits der Marke 50, wenn das Leben nicht mehr unendlich erscheint.

Wie finden Sie Merkel? Thomas hat sie nie gewählt, fühlt aber eine Grundsympathie („Die entscheidet wenigstens“). In ihrer farblosen Neutralität und Mittigkeit ein „Spiegelbild der Gesellschaft“. Det findet gut, dass eine Frau das Männerklischee überwunden hat, noch dazu eine Ostdeutsche. Trotzdem: „Ein Wechsel wäre ganz gut!“

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