Kleinstadt in Aufregung

Nach dem Angriff auf einen Asylbewerber haben in Boizenburg rund 400 Menschen gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit demonstriert

VON ANDREAS SPEIT

Auf dem Marktplatz räumen Händler ihre Waren ein. Eine große Tanne mit elektrischem Licht verbreitet vor den Rathaus in Boizenburg wenig weihnachtliche Stimmung. Nicht alle Marktbesucher gehen aber deshalb gleich nach Hause. Junge Erwachsene kommen sogar erst. Sie alle warten am vergangenen Samstagnachmittag auf eine Demonstration von mehr als 400 Teilnehmern gegen rassistische Gewalt. Doch sie kommen nicht aus Solidarität mit den Opfern.

Einige der Jugendlichen zeigen schon mit der Kleidung ihre ausländerfeindliche Gesinnung. Am einzig offenen Stand mit deutschem Grillgut schimpft ein älterer Herr: „Einfach weg, diese Kanaken“, und ein jüngerer Kerl meint: „Die Zecken auch gleich mit.“ In dieser Runde mit Bierfahne herrscht Einvernehmen. Skeptisch beäugen sie die Polizisten, die Platzverweise gegen ihre Bekannten aussprechen. Noch bevor die Demonstration am Markt eintrifft, erteilen die Beamten mehr als 40 Verweise. Mehr als zwölf Menschen müssen in Gewahrsam. Vielleicht gehören sie zu dem Teil der rund 10.700 Einwohner, der viele Mitbürger verstört. „Ihr Auftreten schüchtert ein“, sagt Frederike Schmidt von der Initiative „Courage“ und hebt hervor: „Umso wichtiger, heute zu sehen, das man nicht alleine ist.“

Am Bahnhof startet die Demonstration, die „Courage“, Kirche und Flüchtlingsinitiativen ausrichten. Genau vor jenem Kiosk, wo vor vier Wochen mehrere Männer den kurdischen Asylbewerber C. krankenhausreif schlugen (taz berichtete). Der Angriff auf den Bewohner der „Zentralen Aufnahmestelle“ in Horst machte der Flüchtlingsrat Hamburg (FR) öffentlich. „Weder das Krankenhaus, noch die Lagerleitung stellten Anzeigen“, sagt eine FR-Sprecherin. C. erstattete selbst die Anzeige. „Die Demo gibt mir ein wenig die Sicherheit zurück, sich hier wieder ungefährdet zu bewegen“, sagt C. Er ist nicht das erste Opfer rassistischer Anfeindungen. „Lange wurde weggeschaut“, sagt Dino Steinbrink, Pastor der evangelischen St. Marien Kirche. Im Mai übernahm der Westfale das Pastorat. Er weiß: „Manch Boizenburger traut sich nicht was zu sagen, aus Sorge, dass ihm die Scheiben eingeschmissen werden könnten.“

Bereits am Mittwoch vergangener Woche trafen sich einige Boizenburger in der Kirche: wegen „der Situation“. „In der Gemeinde sind die Sorgen und Ängste der Menschen sehr verschieden“, sagt Steinbrink. Ein öffentlicher Raum wurde den Initiatoren verwehrt – aus Sorge, die NPD könne sich dann einklagen. Für Steinbrink ist die Kirche ein Ort „wo sich Weltliches und Religiöses ohne Berührungsängste begegnen“. Dass er am Abend den mecklenburg-vorpommerischen NPD-Fraktionschef Udo Pastörs aus der Kirche geworfen hat, lobte unlängst Bürgermeister Harald Jäschke (parteilos). Pastörs hatte die rechte Gewalt verharmlost und Asylbewerber verunglimpft. „Ein mutiges Zeichen“, sagt Jäschke und berichtet, dass 2006 ein griechischer Gastwirt zusammengeschlagen wurde, der dann sein Restaurant aufgab. Man solle „nichts aufbauschen“ hörte Steinbrink aber schon. Bürgermeister Jäschke betont dagegen: „Ich glaube nicht daran, dass wir in Boizenburg über einen Kamm geschert werden können.“ Er freut sich, dass „so viele nicht mehr wegschauen wollen“. Sind doch mehr als die Hälfte der Demo-Teilnehmer aus der Stadt.

Für die rechte Szene in Boizenburg eine neue Situation. Auf der Ostseite der Elbe, wo die Stadt liegt, bemühen sich NPD-Kader, wie Thomas Wulff aus dem nahen Amholz, schon lange erfolgreich Akzeptanz zu gewinnen, indem sie sich ums Gemeinde- und Vereinsleben bemühen. Keine dreißig Autominuten entfernt, in Lübtheen, unterhält Pastörs ein Büro, wo er sich um Hartz IV-Probleme „kümmert“. In der Region sind rassistische Anfeindungen üblich, sagt der FR und weiß, dass die Asylbewerber lieber nach Lauenburg fahren möchten. Nicht bloß, weil die Stadt näher als Boizenburg liegt. Auf der Westseite der Elbe, heißt es beim Flüchtlingsrat, „fühlen viele sich sicherer“.