Beweis: schwimmende Lunge

USA Das „Feticide“-Gesetz sollte ursprünglich schwangere Frauen vor äußerlicher Gewalt schützen. Jetzt wurde erstmals eine Frau zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie ihren Fötus getötet haben soll

VON DOROTHEA HAHN

„Feticide“ – Tötung eines Fötus – lautet das Urteil der Geschworenen in Indiana. Für die 33-jährige Purvi Patel, die sagt, dass sie eine Fehlgeburt hatte, bedeutet das 20 Jahre hinter Gittern. Es ist das erste Mal, dass eine Frau in den USA wegen „Feticide“ zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Der Fall könnte, so befürchten Feministinnen landesweit, Schule machen. Denn „Feticide“-Gesetze, die das ungeborene Leben schützen sollen, existieren in zahlreichen Bundesstaaten.

Die Geschworenen in Indiana hielten es für erwiesen, dass Purvi Patel versucht hat, mit illegalen Methoden ihre Schwangerschaft zu beenden. Die junge Frau hatte, das ergab die Untersuchung ihres Handys, SMS-Kontakt zu einem Mann, der ein in Hongkong hergestelltes Abtreibungsmittel verkauft. Die SMS-Information wurde gegen die Angeklagte verwertet, obwohl sie selbst bestritt, dass sie ein Abtreibungsmittel genommen hat. Und obwohl in ihrem Blut keine Spuren eines solchen Mittels nachzuweisen waren.

Ebenfalls gegen die Angeklagte verwertet wurde ein medizinisch umstrittener Test. Dabei wird die Lunge des Fötus entnommen und geprüft, ob sie „schwimmt“. Wenn sie das tut, wird das bewertet, als sei der Fötus lebensfähig gewesen. Im Falle von Patel führte das Ergebnis des „hydrostatischen Tests“ zu einem Urteil wegen zwei Verbrechen, von denen eigentlich eines das andere unmöglich macht. Erstens wegen Tötung eines Fötus. Zweitens wegen Vernachlässigung eines geborenen und angeblich lebensfähigen Babys.

Patel hatte in der Nacht zum 14. Juli 2013 ärztliche Hilfe in der Notaufnahme in Ishawaka, Indiana, gesucht. Sie hatte starke Blutungen. Der Besuch in der Notaufnahme wurde ihr zum Verhängnis. Noch während sie selbst behandelt wurde, verständigte ein Arzt, selbst aktives Mitglied der örtlichen „Pro Life Association“ – also harter Abtreibungsgegner –, die Polizei. Dr. Kelly McGuire war dabei, als die Polizei nach dem Fötus suchte und ihn in einer Mülltonne hinter dem örtlichen Target-Supermarkt fand. Als Purvi Patel aufwachte, war bereits die Polizei im Krankenhaus und verhörte sie. Ohne Anwesenheit eines Anwalts.

Purvi Patel lebte bei ihren Eltern in Mishawaka und arbeitete im Familienrestaurant. Sie kommt aus einer konservativen Familie, in der sowohl Sex vor der Ehe als auch Abtreibung ein Tabu sind. So weit bekannt, hat die junge Frau mit niemandem über ihre Schwangerschaft gesprochen.

Das Gesetz, auf dessen Grundlage sie jetzt verurteilt worden ist, trat 2009 in Kraft. Offiziell war es nicht dazu gedacht, gegen schwangere Frauen eingesetzt zu werden. Es entstand als Reaktion auf eine Schießerei in einer Bank, bei der eine Frau, die im fünften Monat mit Zwillingen schwanger war, erschossen wurde. Indianas „Feticide-Gesetz“ sollte schwangere Frauen also vor äußerlicher Gewalt schützen.

Doch Purvi Patel ist nicht die erste Frau, die wegen des Gesetzes angeklagt wurde. Die Justiz versuchte bereits im vergangenen Jahr, es auch gegen eine andere junge Frau einzusetzen. Sie unternahm im achten Monat ihrer Schwangerschaft einen Suizidversuch. Die Frau überlebte. Doch sie erlitt anschließend eine Totgeburt. Wegen des Verdachtes auf „Feticide“ verbrachte sie ein Jahr im Gefängnis. Den Prozess, mit einer möglichen Verurteilung, vermied sie nur durch ihr Schuldbekenntnis zu einem geringeren Vergehen.

Quer durch die USA hat die Justiz versucht, „Feticide“-Gesetze gegen schwangere Frauen einzusetzen. In Alabama wurde mehrfach gegen drogenabhängige Schwangere ermittelt. In Texas forderte die Justiz nach Inkrafttreten eines Feticide-Gesetzes Ärzte auf, alle drogenabhängigen Schwangeren zu melden.

Die Direktorin der Organisation „National Advocates for Pregnant Women“, Lynn Paltrow, spricht von der gefährlichen Tendenz, mit der Justiz gegen Schwangere vorzugehen. „Der ganze Fall basiert darauf, dass die Strafjustiz eine Rolle bei der Überwachung von Schwangerschaften hat“, sagt Paltrow. „Damit wird jeder Aspekt im reproduktiven Leben von Frauen zu einem potenziellen kriminellen Risiko.“

Nach einem Urteil des Obersten Gerichtes ist Abtreibung in den USA seit 1973 legal. Doch die Proteste von Konservativen und religiösen Gruppen gegen Schwangerschaftsabbrüche haben nie aufgehört. Deren Aktionen reichen von legalen Initiativen über tägliche Proteste und Demos vor Abtreibungskliniken bis hin zu Morddrohungen und Morden an Ärzten, die Abtreibungen durchführen.

Nachdem zahlreiche Republikaner Wahlerfolge in den Bundesstaaten erzielt haben, sind quer durch das Land neue gesetzliche Schikanen gegen Schwangerschaftsabbrüche entstanden. Zahlreiche Kliniken, die auf Abbrüche spezialisiert waren, mussten schließen. Andere sind überlastet. Aus Ohio und aus zahlreichen Bundesstaaten des Südens reisen Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wollen, neuerdings in Nachbarbundesstaaten und manchmal auch ins Ausland.