„Wie angeschossene Rehe“

Im Prozess um die VW-Affäre vertritt der Kieler FDP-Abgeordnete Wolfgang Kubicki Ex-Manager Klaus-Joachim Gebauer. VW-Boss Ferdinand Piëch unterstellt er bewusstes Wegsehen

WOLFGANG KUBICKI, 55, ist seit 1996 Vorsitzender der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein. Er hat zwei Kinder.

INTERVIEW GRIT BEECKEN

taz: Herr Kubicki, am 9. Januar wird Ferdinand Piëch im VW-Prozess aussagen. Wie wollen Sie zeigen, dass er von Lustreisen und Sonderzahlungen wusste?

Wolfgang Kubicki: Es gibt viele Hinweise, dass Piëch die Sonderbehandlung der Betriebsräte auch wollte. Das gesamte System des Controllings und der Revision oder Nicht-Revision – Konten wurden schließlich nicht überprüft – ist ohne zumindest Duldung des Vorstands nicht denkbar. Wir werden versuchen zu belegen, dass der Vorstand es nicht wissen wollte.

Wie wollen Sie das anstellen?

Es gibt eine wunderbare Formulierung in der Vernehmung von Herrn Piëch: Er habe seinen Kopf dadurch aus der Schlinge gezogen, dass er delegiert habe, sobald es unangenehm oder problematisch wurde. Und das setzt ja das Bewusstsein voraus, dass es jetzt kritisch wird. Das Motto: Wenn es schwierig wird, macht es jemand anders. Piëch hat das Fehlverhalten billigend in Kauf genommen.

Was wollen Sie in der Hauptverhandlung erreichen?

Ich erwarte wahrheitsgemäße Aussagen, Gerechtigkeit. Es kann nicht sein, dass man das schwächste Glied dieser ganzen Kette, Herrn Gebauer, ans Kreuz nagelt, und alle anderen waschen ihre Hände in Unschuld. Wenn die Zeugen sich immerzu nicht erinnern wollen oder können, dann muss man das durch andere Beweismittel auffangen. Man muss dingfest machen, dass und in welcher Weise der VW-Vorstand involviert war.

Wie kann das gehen?

Die steuerliche Behandlung der Beträge innerhalb des VW-Konzerns weist ja bereits darauf hin, dass den Betriebsräten oder Herrn Volkert geldwerte Vorteile zugewendet werden sollten. Steuerlich ist das alles behandelt worden wie nicht-abzugsfähige Betriebsausgaben. Also Geschenke. Und gleichzeitig sind diese Beträge der Lohnsteuer unterworfen worden. Das macht nur dann Sinn, wenn das Unternehmen wusste, dass es sich hier um geldwerte Vorteile handelt. Allein dieses Vorgehen widerlegt ja die Erklärung, man habe nicht gewusst, worum es geht.

Klingt nach einem langen Prozess.

An uns soll es nicht liegen. Wir erwarten irgendwann mal eine wahrheitsgemäße Erklärung der Vorstandsmitglieder über deren Kenntnis, Beteiligung oder auch nur Duldung der Vorfälle. Dann wäre die Veranstaltung schnell zu Ende. Wenn man aufklären will, was in diesem wunderbaren VW-System alles passiert ist, dann ist es aber auch denkbar, dass wir uns auch über den 27. März hinaus treffen müssen. Das könnte für Volkswagen sogar open-end werden.

28. Juni 2005: VW erstattet Anzeige gegen den früheren Personalvorstand der Konzerntochter Skoda, Helmuth Schuster. Er soll Schmiergelder von Zuliefererfirmen gefordert haben.

30. Juni: Betriebsratschef Klaus Volkert tritt wegen der Affäre zurück.

8. Juli: Vorstand Peter Hartz bietet seinen Rücktritt an. Inzwischen sind überhöhte Spesenabrechnungen bekanntgeworden, es geht um Bordellbesuche von Betriebsräten auf VW-Kosten.

21. November 2006: Volkert kommt wegen Verdunkelungsgefahr für drei Wochen in U-Haft. Er soll Klaus-Joachim Gebauer zur Falschaussage gedrängt haben.

25. Januar 2007: Das Landgericht Braunschweig verurteilt Hartz wegen Untreue zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 576.000 Euro Geldstrafe, weil er Volkert Sonderboni von fast zwei Millionen Euro gezahlt hat.

14. Juni: Das Amtsgericht Wolfsburg verurteilt den Ex-Betriebsrat und SPD-Bundestagsabgeordneten Hans-Jürgen Uhl zu 39.200 Euro Geldstrafe wegen Beihilfe zur Untreue und falscher eidesstattlicher Versicherung.

9. August: Der frühere Betriebsratschef der VW Nutzfahrzeuge und Ex-SPD-Landtagsabgeordnete Günter Lenz muss 11.250 Euro Strafe wegen Beihilfe zur Untreue zahlen, weil er auf VW-Kosten die Dienste von Prostituierten in Anspruch genommen hat.

15. November: Der Prozess gegen Volkert und Gebauer beginnt. RTR

Was für ein „wunderbares“ System?

Ich schwanke immer hin und her zwischen Erstaunen, Verwunderung und Fassungslosigkeit. Nach dem Auftritt der bisherigen Zeugen muss man sich wirklich wundern, dass ein Konzern, der solche Mitarbeiter hat, trotzdem noch so erfolgreich am Markt operiert. Ich stehe fassungslos davor, dass Verfügungen über mehrere hunderttausend Euro getroffen werden, ohne das klar ist: Wer hat das erlaubt, wofür ist das gedacht.

Wann haben Sie Blut geleckt?

Das Ermittlungsverfahren hat mir wenig Freude gemacht. Inzwischen macht der Prozess mir Spaß, weil ich an der Kommunikation des VW-Konzerns sehe und merke, dass die Unruhe groß ist. Die agieren wie ein angeschossenes Reh. Mit jedem weiteren Tag, mit jeder weiteren Frage im Gerichtsprozess steht das System VW öffentlich auf dem Prüfstand und kann nicht mehr erklärt werden. Es macht mir Spaß zu sehen, wie sich Leute, die für tausende von Leuten Vorgesetzte waren, winden wie Aale und keine klaren Aussagen tätigen können.