Polizeiknüppel gegen Journalisten

■ Berichterstatter und Fotografen ziehen nach Reagan–Demo im Juni Bilanz: Polizei tritt Presserecht buchstäblich mit den Füßen / Außer zahlreichen Verletzungen der Reporter wurden auch deren Geräte zerstört

Von Benedict M.Mülder

Berlin (taz) - Bisher gibt es zwei Schadensbilanzen, die nach dem Besuch des US–amerikanischen Präsidenten Reagan in Berlin gezogen wurden. Die eine umfaßt die in die Hunderttausende gehende Verrechnung materieller Schäde Informationsrecht und die Berufsfreiheit gravierend beschnitten, sondern auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Christian Wild, SFB–Hörfunkreporter, berichtete über einen nächtlichen Einsatz in Kreuzberg seinem Intendanten: „Ich beobachtete am Heinrichplatz einen umgestürzten, brennenden Bauwagen. In einiger Entfernung davon hielten vier oder fünf Mannschaftswagen der Polizei. Blitzartig und ohne jede Vorwarnung erfolgte durch die herabspringenden Beamten, ausgerüstet mit Kampfanzug, ein Schlagstockeinsatz gegen alle in der Kreuzung befindlichen Personen. Es waren höchstens ein Dutzend Menschen und nicht auszumachen, wer als Passant oder Störer in Frage kam. Während der erste Beamte mit erhobenem Stock auf mich zukam, hielt ich ihm meinen Presseausweis entgegen und rief laut Presse, Presse. Ungeachtet dessen schlug der Beamte auf mich ein. Ich wurde zu Boden gerissen, andere Beamte (mindestens zwei weitere) rannten herbei und schlugen ebenfalls auf mich ein, während ich schon am Boden lag und weiter Presse, Presse schrie. Meinen Prellungen an Arm, Rücken, Becken, Rippen sowie einer kleineren Verletzung im Gesicht nach, müssen es zehn Knüppelschläge gewesen sein, die mich voll trafen.“ In dieser Hinsicht hatte sein Kollege Erik Heinrich noch Glück. Als er am Vorabend im Anschluß an die Anti–Reagan–Demonstration Zeuge einer Festnahme wurde und diese per Mikrofon dokumentieren wollte, „kam ein Beamter“, so Heinrichs drastische Lagebeschreibung, „mit allen Anzeichen der Wut auf mich zu. Ich wich mehrere Schritte zurück, der Beamte folgte mir, griff nach dem Mikrofon und suchte, es mir zu entwenden. Ich erklärte, daß ich Vertreter der Presse sei. Dennoch griff der Polizeibeamte abermals nach dem Mikro, es gelang ihm, es mir zu entreißen. Er drehte mehrmals gewaltsam daran, zerriß das Kabel und warf das Gerät zu Boden. Sodann forderte er mich auf, das aufgenommene Tonmaterial herauszugeben. Als ich mich weigerte, packte mich der Beamte beim Kragen und erklärte mich wegen Behinderung einer Amtsmaßnahme für vorläufig festgenommen.“ Auf Fotografen hatten es die Mannen im dunkelgrünen Tuch wohl besonders abgesehen. Übereinstimmend berichten mehrere Fotoleute, wie zunächst Blitzlichter unter Knüppelschlägen zu Bruch gingen, bis es dann den Fotomann selber traf. (Ali Paczensky: „Ich wurde zweimal getroffen, auf dem Kopf, auf der Kamera und dann sehr heftig umgerempelt.“) „Das war ein einziger Eiertanz“, erzählt Stern–Fotograf Müller–Schneck, „wie die Dobermänner kamen sie auf uns zu, prügelten sofort, und wenn wir Presse riefen, bekamen wir noch eins drüber.“ Den folgenreichsten Angriff mußte zweifellos der Journalist Jochen Vorfelder über sich ergehen lassen. Er bekam die Strenge der Staatsmacht gleich zweimal zu spüren. Nach der vorzeitig aufgelösten Anti–Reagan–Demonstration am 11.Juni in der Innenstadt geriet er in die Zange „mehrerer SEKler“ (Sondereinsatzkommando). Als ihn ein Schlag auf den Kopf zu Boden gehen ließ, erhielt er zusätzlich zwei oder drei Stiefeltritte. Der Arzt, der ihn noch am gleichen Abend in einem Krankenhaus behandelte, diagnostizierte eine „sternförmige Platzwunde an der Rückseite der rechten Ohrmuschel, ein zwei Zentimeter lange Platzwunde auf der Kopfhaut und eine Fraktur des Ohrknorpels, der ca. 1 cm lang gespalten war. Die Wunde mußte genäht werden. Damit nicht genug. In der Nacht des nächsten Tages, so Vorfelders Schilderung, „wurden wir von rund zehn Beamten im Vorbeilaufen in die Mangel genommen“. Zusammen mit dem Stern–Journalisten Jan–Phillip Sendker war Vorfelder am Kreuzberger Demo–Treffpunkt Kottbusser Tor erneut auf Polizisten gestoßen, die Jagd auf vermeintliche Demonstranten machten. Trotz deutlicher Hinweise, es mit Presseleuten zu tun zu haben, sausten Knüppel auf Rücken und Nieren nieder. Allein dadurch, daß Vorfelder sich schützend über Sendker beugte, verfehlten gezielte Schläge den Kopf des Reporters. Sendker: „Da waren keine nervösen Polizisten oder überforderte Einsatzleiter am Werke, das waren gezielte Attacken gegen Journalisten als letzte Kontrollinstanz vor Ort.“ „Wo Vorwürfe bekannt werden“, erklärte gestern ein Sprecher der Polizei auf Anfrage, „wird auch ermittelt.“ Die Ermittlungen dürften allerdings zumeist im Sande verlaufen, da Beschwerden, Fragen nach Dienstnummern meistens nur mit einem Achselzucken quittiert wurden. Am Mittwoch treffen sich Polizeipräsident Schertz und SFB–Intendant Günter Herrmann, um „das Klima wechselseitiger, vertrauensvoller Zusammenarbeit wiederherzustellen“. Bei Jochen Vorfelder hat sich zudem der Sprecher des Innensenats sorgenvoll erkundigt. Ein Gespräch mit den Journalistenorganisationen, wie es 1981 schon mal stattfand, steht bisher allerdings noch aus. „Ich riß meinen rechten Arm zum Schutz hoch, und der Beamte traf meinen Ellenbogen mit dem Schlagstock. Aus der Abwehrbewegung heraus löste ich die Kamera noch einmal aus - die Aufnahme zeigt den angreifenden Beamten.“