Galla z.B.: Auch Beamte sind Menschen

■ Solange ein deutscher Beamter keine silbernen Löffel stiehlt, ist er unkündbar / Aribert Galla schmiß lediglich Steuer-Millionen zum Fenster raus, die nie bewilligt worden waren, verweigerte jedwede Rechenschaft und galt als „möglicherweise unfähig“

Gehören Sie auch zu jenen Menschen, die im Angesicht eines deutschen Beamten regelmäßig ein Gefühl des Respekts ankommt? Hat der deutsche Beamte auch bei Ihnen noch diesen merkwürdigen Bonus unverbrüchlicher Zuverlässigkeit? Sicher, sie gelten nicht als die fleißigsten und fixesten, aber irgendwie hängt die dem Beamten nachgesagte Schläfrigkeit doch im Unterbewußten des einfachen Bürgers mit seiner sprichwörtlichen Umsicht im Dienste eines höheren Ganzen zusammen: Gut Ding will Weile haben, und wer ständig zum Allgemeinwohle abwägt, muß seine noch so gut gutgemeinten persönlichen Flausen zügeln im strikten Glauben an Dienstweg und einschlägige Paragraphen. In einem geordneten Gemeinwesen ist die subjektive Dynamik des individuellen Beamten durch die Herrschaft der kollektiven Dienstvorschrift sozusagen zur objektiven Tugend retardiert.

Ach, du lieber Gott! Solcher Mumpitz hätte Sie bis heute wirklich noch umgetrieben, wo immer ihr Lebensweg eine deutsche Behörde gekreuzt hätte? Aber auch das ist das Schöne an jedem Skandal: Er verstattet uns tiefe Einblicke, was in einem Beamtenapparat alles ungestraft möglich ist, erteilt unserem Bild vom Staate heilsame Stöße aus seiner Herzgegend heraus: unserem Bilde des deutschen Beamten.

Kommen wir zur Sache: Was immer sich ein leitender Regierungsdirektor in 12 Jahren Amtstätigkeit an der Spitze des größten

Bremer Krankenhauses geleistet hat - es langte nicht für die geringste Sanktion, die kleinste disziplinarische Ahndung, haben wir inzwischen erfahren. Denn ein auf unser Gemeinwohl vereidigter Senator hat uns in beschwörender Zerknirschung offenbart: Nichts, was Anlaß zum Einhalt geboten hätte, habe er gewußt, und was er gewußt habe, habe nie sein entschlossenes „Halt“ gerechtfertigt. Was hat er also gewußt, dieser Senator? Oder umgekehrt: Was darf sich ein deutscher Beamter heute alles ungerügt erlauben?

Halten wir uns in unserer klienen Zusammenschau dessen, was wir jetzt als Normalität des deutschen Beamtenalltags haben kennenlernen dürfen, ans einfachste aller Ordungsprinzipien: die Chronolgie, im Beamtendeutsch: an die Aktenablage. Beginnen wir also z.B. am 5. Juli 1978, drei Monate nachdem Aribert Galla „leitender Regierungsdirektor der Hansestadt Bremen“ geworden war. Denn an diesem Tag erreicht ein erster bitterböser Brief den Senator Brückner, geschrieben vom gewaltigen Senatsdirektor des Bauwesens, Eberhard Ku

lenkampff. Ein geharnischte Klage über die eigenmächtige Vergabe von Bauprojekten durch den frischgekürten Regierungsdirektor Galla. Kulenkampff schreibt: Nach der Geschäftsverteilung im Senat ist für die Abwicklung von Bauaufgaben der Senator für das Bauwesen zuständig... Ich bitte Sie deshalb, auf Ihre Verwaltung dahingehend einzuwirken, daß in Zukunft Übergriffe Ihres Hauses gegen die Geschäftsverteilung im Senat unterbleiben. Halten wir also erstens fest: Ein moderner Beamter leistet sich „Übergriffe“. Auch im Hause des Sena

tors gibt es schon 1978 Klagen über die rege Bau -Investitionstätigkeit des Klinik-Chefs. Ein völlig verdatterter Mitarbeiter Brückners schreibt im Juni 78 an Galla: Die von Ihnen angekündigte Kostensteigerung für die Sanierung und Umstellung der Zentralküche im ZKH-St.-Jürgen -Straße ist in ihrer Größenordnung bei Krankenhausprojekten der letzten Jahre ohne Beispiel. Noch am 10. Mai 1977 wurde der in Haushalt mit 1,5 Millionen DM veranschlagte Betrag als Ergebnis einer Kostenschätzung von Ihnen bestätigt... Der Mann hatte Grund für seine Bestürzung: Von 1,5 Millionen (Kalkulation Galla) hatten sich die Klinik-Küchen -Kosten innerhalb eines Jahres auf 7,5 Millionen (Kalkulation Galla) verfünffacht. Halten wir also zweitens fest: Ein moderner Beamter sorgt für Kostensteigerungen „ohne Beispiel“.

Überspringen wir der Kürze halber ein paar Jahre und denken uns, daß die Mitarbeiter des Gesundheitssenators inzwischen vielfach an sich ge-und an Aribert Galla verzweifelt sein dürften und in ihrer Not schließlich bei ihrem Senator nachdrücklich um Hilfe nachsuchen. Und zwar am 6. Juni 1983 so: Am 24. März erhielt ich von der Leitung der Finanzabteilung des ZK St.-Jürgen-Straße den Nachweis über die Verwendung der Investitionsmittel 82. Aus dieser Aufstellung geht hervor, daß im Jahre 82 im ZK St.-Jürgen -Straße Investitionen in Höhe von 7,5 Millionen realisiert worden sind, obwohl eine Frei

gabe nicht erfolgt ist. ... Diese Verhaltensweise des ZK St. -Jürgen-Straße - Investitionen ohne Freigabe zu tätigen ist im Nachhinein nicht zu „heilen“. Um jedoch sicherzustellen, daß das ZK St.-Jürgen-Straße zumindest zukünftig einwandfrei verfährt, sollte das Krankenhaus schriftlich oder mündlich eindringlich auf die Einhaltung von Vorschriften hingwiesen werden. (Ich persönlich halte eine mündliche Ansprache durch den Senator oder den Senatsdirektor für wirkungsvoller). Halten wir also drittens fest: Ein moderner Beamter darf ohne weiteres, insbesondere ohne Genehmigung 7,5 Millionen Mark ausgeben.

Am 19. August 1985 muß es auch in der senatorischen Behörde gedämmert haben, was es mit dem Regierungsdirektor Aribert Galla wohl auf sich habe. Ein Mitarbeiter vermerkt handschriftlich über Aribert Galla: Es handelt sich möglicherweise um reines Unvermögen.

Nehmen wir also Abschied vom Bild des treu-schläfrigen Staatsdieners: In Wahrheit ist der moderne Beamte ein „möglicherweise unvermögender“ Mensch, der sich durch „Übergriffe“ Kompetenzen anmaßt, die zwar in keinem Geschäftsverteilungsplan vorgesehen sind, sich aber trefflich nutzen lassen, um Millionen zum Fenster rauswerfen lassen, die ihrerseits nie jemand bewilligt hat. Mit anderen Worten: Beamte sind auch Menschen, nur unkündbar. Selbst für ihre Senatoren.

Klaus Schloesser