Nächtlicher Brückenschlag

■ 140 Tonnen schweres Mittelstück der neuen Langenscheidtbrücke in der Nacht zum Samstag montiert

Von einem erstklassigen erhöhten „Logenplatz“ aus konnten in der Nacht zum Samstag etliche Schöneberger KiezbewohnerInnen die Montage des knapp 29 Meter langen und rund 140 Tonnen wiegenden Mittelstücks der neuen Langenscheidtbrücke beobachten. Angelockt vom Geräusch wuchtiger Hammerschläge und dem gleißenden Licht auf der Baustelle postieren sie sich dichtgedrängt auf dem verbliebenen hölzernen Fußsteg über die Bahnstrecke, der momentan noch die Versorgungsleitungen zur einst sogenannten „roten Insel“ des Bezirks aufnimmt.

In zwei Arbeitsgängen werden die vorher zusammengeschweißten sechs Brückenfelder erst von einer Stützenreihe auf Rollenlager umgerückt und dann von zwei 350 -Tonnen-Kränen in die Endstellung verschwenkt. Im Anschluß daran verschrauben Arbeiter die Fracht provisorisch mit Hilfsblechen an das bereits montierte, gleichlange Brückenstück am westlichen Ende der Monumentenstraße, damit die Teile später Fuge an Fuge verschweißt werden können. Andere tragen auf die Metallteile mit der Spritzpistole eine Eisenglimmer-Schutzschicht in, wie es heißt, „freundlichem Senatsgrau“ auf. Da hierfür eine Unterbrechung des Betriebs der Wannseebahn notwendig ist, geschieht das alles mit Rücksicht auf die Fahrgäste zwischen 21 und 4 Uhr nachts.

Nur der aus unbekanntem Grunde herbeigeeilten Besatzung einer Funkstreife erscheinen die späten und lautstarken Aktivitäten suspekt: Drohend fordern die Schupos die Sondergenehmigung für die „nächtlichen Arbeiten“, die ohne das Stück Papier sofort eingestellt werden müßten. Indes waren über den Umweltsenator längst schon routinemäßig die örtlichen Polizeidienststellen von der Ausnahmeerlaubnis nach der Lärmschutzverordnung informiert worden.

Der ursprüngliche Wunsch des Landeskonservators, wenigstens einige alte Teile der von ihm 1983 als Schöneberger Wahrzeichen unter Denkmalschutz gestellten Brücke zu erhalten, hatte sich zerschlagen, weil diese total durchgerostet waren. Da es der oberste Denkmalschützer so wollte, erhielten die Arbeiter gleichwohl den Auftrag, die Brücken-Konstruktion wie die alte in Fachwerkbauweise zu fertigen. Abweichend vom historischen Muster gibt es bei den einzelnen Fachwerkfeldern lediglich keine Kreuzverstrebungen mehr, sondern Diagonalen.

„Das heißt, daß die Fahrbahn zur Monumentenstraße hin wie früher mit dreieinhalb Prozent Steigung schräg durchs Fachwerk laufen wird“, erläutert kopfschüttelnd der von der Bauverwaltung abgestellte Bauleiter Knut Borkenhagen. Der Ingenieur: „Unsere Großväter konnten das damals nicht anders, weil die eine Seite des Bahneinschnitts höher ist als die andere. Auf einer schiefen Ebene rutschen aber Tausalze und Split über die diagonalen Streben immer in die Ecken der Träger - das ist der Tod jeder Brücke. Deshalb ist das eine ganz, ganz schlechte Konstruktion. Nur auf Wunsch des Landeskonservators haben wir diesen Baufehler wiederholen müssen, da haben wir uns sehr gegen gewehrt.“ Probleme mit Rost könnten unter Umständen „schon in drei Jahren“ auftreten und dann werde es „auch schlimm für den Steuerzahler“, unkt der danebenstehende Vorgesetzte des Bauleiters. Um der Korrosion vorzubeugen, habe man einmal eine verhältnismäßig dichte, gerade Brückenfahrbahn und zum anderen um jede Diagonale quasi einen „Hut“ konstruiert, damit dort das Wasser nicht hinunterlaufen kann. Aber auch das helfe nicht hundertprozentig, heißt es. Hätte man nach den Regeln der heutigen Ingenieurskunst verfahren dürfen, lägen die Baukosten zudem etwa 20 Prozent unter den veranschlagten 11,2 Millionen DM.

Im Gegensatz dazu noch nicht entschieden sei ein zwischen Bezirk, Senatsbauverwaltung und Landeskonservator tobender Streit um ein 5 mal 10 Meter großes altes Brückentor. Als Reminiszenz an das unwiederbringlich verschwundene Baudenkmal möchte der Landeskonservator zumindest das alte Tor neben der neuen Brückenauffahrt an der Crellestraße aufstellen. Dort soll das Fragment die Funktion einer Aussichtsplattform erfüllen. Freilich ist das derzeit auf Bahngelände liegende Stück Schrott so vom Rost zerfressen, daß es nach Auffassung von Senat und Bezirk aus Sicherheitsgründen eingezäunt werden müßte. „Der alte Stahl ist so brüchig, daß er bei minus 20 Grad und bei entsprechender Belastung wie Glas splittern kann“, warnt Bauleiter Borkenhagen, während ich nach Löchern taste.

Ganz so schlimm wird der Zahn der Zeit an der Langenscheidtbrücke Nummer II doch nicht nagen können, denn bei ihr gibt es keine offenen Hohlprofile, genietete Stahlbleche und -winkel mehr. Nach einer fast zweijährigen Bauphase soll sie Anfang September nächsten Jahres für den Verkehr freigegeben werden. Der noch ausstehende Brückenschlag ans „andere Ufer“ der Crellestraße wird den Planungen zufolge bereits in diesem Spätherbst erfolgen.

„Mal sehen, ob sie jetzt schon weiter sind, ob sie die Schrauben festgezogen haben“, höre ich auf dem Nachhauseweg über den Fußgängersteg eine junge Frau zu ihrem Begleiter sagen. Sie haben. Die unten seit Stunden von einem Bein aufs andere tretenden Männer von der BVG-Aufsicht können voraussichtlich die S-Bahn-Gleise wieder pünktlich freigeben und ihre Order zum Stromanschalten erteilen.

Thomas Knauf