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Im Süden jede Menge Neues

■ Südkoreas Präsident trifft mitten ins Herz koreanischen Wunschdenkens / von dpa-Mitarbeiterin Birgit Schwarz-Tenbrock

„Im Süden nichts Neues“ unkten die einen, von Durchbruch sprachen die andern. Als Südkoreas Staatsoberhaupt Roh Tae Woo am Donnerstag morgen in einer landesweit ausgestrahlten Erklärung ein umfassendes Richtlinienprogramm für die künftige Politk seiner Regierung gegenüber dem verfeindeten Bruder im Norden vorlegte, war Skepsis zwar nicht aus dem Weg geräumt, doch überwog hoffnungsvoller Optimismus die Reaktionen.

Zwar soll Rohs Vorstoß nicht zuletzt von solch innenpolitisch brisanten Kontroversen wie der Frage nach den Verantwortlichen der blutigen Niederschlagung des Volksaufstandes von Kwangju 1980 oder nach der Verwicklung seines Vorgängers Chun Doo Hwans in Korruption und Unterschlagung ablenken. Doch spricht vieles dafür, daß das am Donnerstag vorgelegte Konzept zur „Nordpolitik“ im Gegensatz zu Verlautbarungen und Offerten südkoreanischer Regierungen in der Vergangenheit eine Entspannung auf der koreanischen Halbinsel ernsthaft anstrebt.

Demnach will man für die Ermöglichung und Verwirklichung zwischenmenschlicher Begegnungen nicht nur von Politikern und Geschäftsleuten, sondern auch von Journalisten, Kulturschaffenden, Kirchenvertretern, Akademikern, Sportlern und Studenten aus beiden Teilen Koreas eintreten. Selbst im kommunistischen Ausland lebende Koreaner sollen den Süden, in Übersee lebende Südkoreaner den Norden Koreas frei bereisen können. Auch die Zusammenführung von seit dem Ende des Korea-Kriegs 1953 zersprengten Familien steht auf dem Programm, ebenso wie die Aufnahme bilateralen Handels sowie die grundlegende Verbesserung eigener Beziehungen mit China, der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten.

Vor allem aber wird in nie dagewesener Deutlichkeit, wie Kenner des Landes bestätigen, Abschied genommen vom Konfrontationskurs der letzen vier Jahrzehnte. Es sei an der Zeit, die kontra-produktive Diplomatie der Vergangenheit zu beenden und statt dessen eine Ära der Versöhnung auf der Halbinsel einzuleiten, meinte Roh. Die Barrieren, die die beiden Teile Koreas bisher unversöhnlich trennten, müßten niedergerissen und der Weg zu einem vereinigten, prosperierenden Heimatland geebnet werden.

Grundsätzlich neu sind die von Roh formulierten Ideen nicht. Dennoch wird seine Erklärung als Signal für eine Abkehr Südkoreas von der bisher verfolgten Strategie internationaler Isolierung des Nordens gewertet. So war denn auch am Donnerstag die Resonanz durch sämtliche politischen Lager hindurch positiv. Jene, die den Präsidenten und seine Regierung der Propaganda und des Schönwetter-Machens bezichtigten, blieben in der Minderheit. Mit der konsequenten Fortsetzung seiner in den vier Monaten seiner Amtszeit begonnen Öffnung Südkoreas gegenüber sozialistischen Staaten traf Roh am Donnerstag mitten ins Herz koreanischen Wunschdenkens getroffen. Daß dabei auch pragmatische Gründe eine Rolle spielen, ist unbestreitbar.

Feindbilder werden abgebaut

„Wenn wir Handel mit dem Ostblock treiben wollen, können wir uns dem Norden gegenüber nicht länger verschließen“, kommentiert ein Geschäftsmann. Doch auch innenpolitischer Druck sowie der außenpolitische Faktor einer wachsenden Entspannung zwischen den Blöcken dürften Roh neben wirtschaftlichen Interessen zu seinem Vorstoß bewegt haben. Ebenso dürfte die Gewißheit, daß der Wettbewerb der Systeme in Anbetracht sichtlicher wirtschaftlicher Erfolge des Südens auch auf der koreanischen Halbinsel für den Kapitalismus entschieden ist, eine Rolle gespielt haben.

Nicht zuletzt aber, so war aus diplomatischen Kreisen in Seoul zu vernehmen, habe wohl auch die uneingestandene Besorgnis, daß sich die Spannungslage durch die Nichtteilnahme des Nordens an den Olympischen Spielen im September in Seoul verschärfen könnte, Roh und seine Regierung dazu bewegt, die Hand zur Versöhnung auszustrecken. Seit über 40 Jahren ist die Halbinsel ohne jeden zwischenmenschlichen Kontakt geteilt.

Wirkung im innerkoreanischen Verhältnis dürfte Rohs Konzept zur Nordpolitik dennoch, wenn überhaupt, frühestens nach der Olympiade zeigen. Im Süden allerdings ist ein Prozeß in Gang gesetzt, den vor gut einem Jahr noch kaum jemand für möglich gehalten hätte: Feindbilder, die südkoreanische Regierungen vier Jahrzehnte lang als Vorwand für Unterdrückung, Willkürherrschaft und Militärgewalt dienten, werden abgebaut.

In einem ersten administrativen Maßnahmenkatalog wurde am Donnerstag in Erwägung gezogen, anti-nordkoreanische Rundfunk- und Fernsehsendungen abzuschaffen, das Bild des Nordens in Schulbüchern und das Staatssicherheitsgesetz zu revidieren. Dieses Gesetzt bringt jeden, der mit nordkoreanischen Informationen oder Personen in Kontakt kommt, in Spionageverdacht. Noch sind tausende Kilometer Stacheldraht, die nicht nur die Demilitarisierte Zone entlang des 38. Breitengrades abriegeln, sondern auch die gesamte Küste Südkoreas einzäunen, nicht abgerissen. Noch gibt es politische Gefangene in Südkorea, doch ein Anfang scheint gemacht.

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