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Nachgeliefert: Unglaube, Mord und Totschlag

■ Bremen zwischen den Jahren: Kleines taz-Kompendium über die wichtigsten und unwichtigsten Lokalereignisse der tazlosen Zeit

Das geht ja gut los, das neue Jahr. Zum Beispiel mit dem Ende der jahreswendlichen Tazlosigkeit. Als besonderen LeserInnen-Service bietet die taz zum neuen Jahr ein Nachrichten-Nachlese-Kurz-Kompendium der letzten Tage des alten Jahres mit allem, was sonst (auch nicht) in der taz gestanden hätte, wenn es eine gegeben hätte:

-Bürgermeister Wedemeier ist während seiner feiertäglichen Mußestunden um eine Erkenntnis reicher geworden, derer er das regierte Bremer Volk in seiner Neujahrsbotschaft teilhaftig werden ließ: „Der Untergang der Menschheit ist auch ohne Atomkrieg denkbar“, stimmte Wedemeier unter Verweis auf Ozonlöcher und „außergewöhnliche Dürreperioden“ auf das frohe neue Jahr ein.

Konsequenz aus der Erkenntnis des Bürgermeisters für 1989: „Wenn es ums Überleben geht, ist jeder kompetent und aufgefordert, sich einzuschalten.“

Neben seiner besinnlich-grüblerischen Einkehr erledigte der Bürgermeister ein bißchen Weihnachtspost. Unter anderen erhielten Bundeskanzler Kohl und Bundespräsident von Weizsäcker pflichtgemäße Neujahrs-Briefe von Wedemeier. Den einen lud er nach Bremen ein (zum positiven Signale -Verströmen für die norddeutsche Küstenregion), den anderen nach Moskau (Abrüstungsgespräche führen).

-Reicher sind in der letzten Woche auch noch andere Menschen geworden, allerdings nicht an Erkenntnis, sondern an Barem. Der erste Rang im Lotto ergab 399.567 Mark und dreißig Pfennig. Ein 42jähriger Räuber erfreute sich kurzfristig und unrechtmäßig des Besitzes von 1.000 Mark, als deren legitimen Besitzer die Polizei eine Bremer Spielothek ausmachen konnte.

Schließlich verschaffte ein Gericht einem Schornsteinfeger 3.000 Mark Schmerzensgeld von einer Hamburger Illustrierten. Sie hatte das Kaminkehrer-Konterfei in einer Fotomontage mit nackigten Frauen collagiert und damit die „Persönlichkeitsrechte des Schornsteinfegers schwerwiegend verletzt“.

-Leicht verletzt ist auch Bildungssenator Horst Werner Franke. Franke ist zwar nicht unter Nackerten geraten, dafür unter Beschuß von Altbürgermeister Koschnick. Der hält inzwischen (mit 14jähriger Verspätung) die Änderung des Bremer Schulgesetzes 1975 und ihr Ziel „integrierte Stufenschulen“ für einen „Fehler“. Frankes Konter: „Wir haben ein vorzügliches Schulgesetz.“ Die Bremer FDP freute sich über Koschnicks schulpolitische Schelte „fast wie über ein Weihnachtsgeschenk“.

Im übrigen herrschten während der letzten sieben 88er Tage jahreszeitlich bedingt Mord, Brandschatzung und Totschlag.

Eine KirchgängerInnen-Zählung ergab überdies für Bremen nur mäßige bis durchschnittliche Ergebnisse. Die treusten Gottesdienstbesucher verzeichnet die Bremer St.-Matthäus -Gemeinde mit 650 regelmäßigen Sonntags-BesucherInnen bundesdurchschnittlich Platz 33 unter 1.000 befragten Gemeinden.

Weitere Zeichen schwächlich ausgebildeter christlicher Nächstenliebe: In der Neustadt stoppten Polizeibeamte mit acht Schüssen einen offensichtlich Geistesgestörten, der irrtümlich annahm, „Gott, der Vollstrecker“ zu sein, und einen Bekannten mit Faustschlägen und Messerstichen fürchterlichst zugerichtet hatte.

In Blockdiek wurde eine 37jährige Frau von ihrem Lebensgefährten so schrecklich mißhandelt, daß sie ihren Verletzungen erlag. Ein 30jähriger mußte, nachdem er von einem Auo angefahren worden war, mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden.

Der Fahrer entkam unerkannt. Neben einer Unzahl von Adventskränzen und den Aktenkellern des Amtsgerichts Blumenthal brannten z.B. vier Garagen, die Chirurgische Abteilung im Zentralkrankenhaus Bremen-Nord sowie rund eine Million in Gestalt von Neujahrsböllern

Die Staatsanwaltschaft Essen erhob auf 81 Seiten Anklage wegen „gemeinschaftlichen Mordes, erpresserischen Menschenraubes und Geiselnahme mit Todesfolge gegen die Bremer Geiselnehmer Hans-Jürgen Rösner, Dieter Degowski und Marion Löblich. Klaus Schloesse

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