Von der „Nina“ zur Lohnarbeiterin

■ In Chile werden die Dienstmädchen knapp. Junge Frauen verdingen sich lieber als Saisonarbeiterinnen auf dem Land, weil sie dort mehr verdienen. „Gewerkschaft der Arbeiterinnen in Privathäusern“ fordert mehr Rechte

Das hatte es früher in Chile nie gegeben: In den Supermärkten der Nobelviertel der Hauptstadt, Providencia, Apoquindo und Las Condes tauchen plötzlich elegant gekleidete Damen auf, die eigenhändig den Einkaufswagen schieben. Vor den elektronischen Kassen stehen sie auf ihren hochhackigen Pumps Schlange, bis sie mit ihren gelackten Fingern Wurst und Käse aufs Band packen dürfen. Wo sind sie nur geblieben, die guten Geister der chilenischen Familien, die stets fleißigen „Ninas“, die Dienstmädchen, die rund um die Uhr geputzt, gekocht, Kinder gehütet und eingekauft haben? „Die Mädchen von heute wollen nicht mehr arbeiten“, klagt eine gepflegte Mittvierzigerin mit zwei Einkaufstüten in der Hand, „sie legen sich lieber auf die faule Haut.“

Auf der „faulen Haut“ liegen sie nicht, jene Bauernmädchen aus dem Süden des Landes, die früher als Hausangestellte in die Städte zogen. Heute bleiben sie auf dem Land, wo dank des famosen chilenischen „Wirtschaftswunders“ neue Arbeitsplätze entstanden sind. Mit großzügigen Krediten für moderne Bewässerungsanlagen und Pestizide wurde die „grüne Revolution“ in Szene gesetzt, und seit Anfang der achtziger Jahre wird der Weltmarkt mit chilenischen Weintrauben, Kiwis, Äpfeln und Pfirsichen überschwemmt. In den Sommermonaten Dezember bis März werden Hunderttausende ErntehelferInnen gesucht. Die Unternehmer bevorzugen weibliche Arbeitskräfte, von denen sie sich größeres Geschick im Umgang mit den kostbaren Früchten versprechen und die sie für besonders belastbar halten. Auf der Suche nach arbeitswilligen Mädchen durchkämmen Vermittler das Land, und die Damen der Oberschicht müssen immer weiter in den Süden fahren, um eine Hausangestellte zu finden.

Die Nina war in Chile immer so etwas wie ein Möbelstück. Da ihr in der Regel kein Lohn, sondern nur ein Taschengeld gezahlt wird, konnten sich auch Mittelschichtsfamilien diesen Luxus leisten. In fast allen Wohnungen gibt es eine kleine, meist fensterlose Kammer, die für die Angestellte vorgesehen ist. Immer noch arbeiten von zwölf Millionen ChilenInnen eine halbe Million als Dienstmädchen. Die Proletarisierung der Dienstmädchen

Die Gewerkschaft der „Arbeiterinnen in Privathäusern“ ist in einem hübschen Häuschen am Rande der Innenstadt Santiagos untergebracht. Das Wort „Nina“ (Mädchen) finden die Frauen, die sich hier zusammengeschlossen haben, diskriminierend. In der Tat gebe es in der Erntezeit Arbeitskräftemangel, sagt die Gewerkschaftsvorsitzende Aida Moreno, denn eine Saisonarbeiterin verdient dreimal mehr als ein Hausmädchen. Auch Aida Moreno ist eine Bauerntochter aus dem Süden. Seit ihrem 14. Lebensjahr arbeitet sie als „Mädchen für alles“ in einem Privathaushalt und seit 30 Jahren in der Gewerkschaft, weil „unsere Befreiung Organisation voraussetzt“. Leider hat die Gewerkschaft erst 200 Mitglieder. Dies führt sie auf das niedrige Bildungsniveau der Frauen und auf die 16 Jahre währende Hetzkampagne gegen alle Gewerkschaften zurück.

Die sozialistische Volksfront-Regierung unter Allende hatte Kinderkrippen für die meist unverheirateten Ninas eingerichtet, und jeden Morgen sammelten Busfahrer die Sprößlinge der Hausangestellten ein und brachten sie am Abend wieder zurück. So hatte man den stets verachteten Frauen das Recht auf eine eigene Familie sichern wollen. Die Militärdiktatur aber schloß die Krippen, und ihr neues Arbeitsgesetz erlaubt ausdrücklich die fristlose Kündigung von schwangeren Dienstmädchen. Rechte kaum bekannt

Doch die Veränderungen in der chilenischen Gesellschaft hätten auch positive Begleiterscheinungen, räumt Aida Moreno ein. Durch den Boom in der Landwirtschaft haben sich die früheren Hausangestellten aus ihren halb-feudalen Arbeitsverhältnissen gelöst und seien Landarbeiterinnen geworden, sie haben sich „proletarisiert“. Die chilenische Oberschicht wurde immer reicher und verbunkert sich in abgeschirmten Stadtvierteln; die Mittelschicht verarmte, und bei vielen reicht es heute nicht einmal mehr für 50 DM Taschengeld für eine Nina. Viele Haushalte begnügen sich daher mit einer Putzhilfe für ein paar Stunden. Darin sieht Aida Moreno eine Chance für die zukünftige Gewerkschaftsarbeit. „Um bezahlter Hausarbeit zur Würde zu verhelfen“, hat die Gewerkschaft Anfang der achtziger Jahre eine eigene Putzfirma gegründet. Auf Stundenlohnbasis verdingen sich die Arbeiterinnen zum Putzen, Kochen, Einkaufen, Babysitting. „Wir sagen unseren Mitgliedern: Nutzt aus, daß es wenig Arbeitskräfte gibt, fordert eure Rechte. Aber die meisten kennen ihre Rechte gar nicht. Und viele identifizieren sich politisch mit ihren Arbeitgebern“, weiß Aida Moreno.

Unter den ArbeitgeberInnen sind auch viele Frauen der Opposition, die für mehr Frauenrechte kämpfen. Doch Aida Moreno und ihre Kolleginnen haben ernüchtert festgestellt: „Die meisten - von ein paar rühmlichen Ausnahmen abgesehen kämpfen nur nach außen hin für die Rechte ihrer Geschlechtsgenossinnen. In ihren eigenen vier Wänden ignorieren sie die Frau, die für sie die Dreckarbeit macht.“

Gaby Weber