Die Verbitterung über Kohl wächst

■ In Polen wird die Kritik immer lauter / Es geht um Wiedergutmachungsleistungen für Zwangsarbeiter

Der Ton der Regierungsmitglieder ist noch diplomatisch, aber in der Presse hören sich die Reaktionen auf die jüngsten Kapriolen aus Bonn schon anders an: „Kohl läßt die Maske fallen“, titelte die 'Trybuna‘, als der Kanzler aller Deutschen mit seinem Junktim herausrückte: eine gemeinsame Erklärung beider deutscher Parlamente zur polnischen Westgrenze solle es nur geben, wenn Warschau auf alle Reparationsansprüche verzichte. Und damit meint die CDU/CSU, wie gestern ihr innenpolitischer Sprecher Johannes Gerster erläuterte, „Wiedergutmachungsforderungen“ für ehemalige polnische Zwangsarbeiter.

Bundeskanzler Kohls jüngste Äußerungen zur polnischen Westgrenze haben in Polen vor allem Verwirrung und Kritik hervorgerufen. „Erstaunt“ zeigte sich Premier Mazowiecki in Interviews mit beiden bundesdeutschen Fernsehanstalten. Und in einem Interview mit der 'Welt‘ wiederholte er noch einmal die Forderung, angesichts der Grenzfrage an jenem Teil der „Sechser-Konferenz“ der vier Siegermächte und der beiden deutschen Staaten teilzunehmen, die Polen betreffen.

„Erstaunt“ über Kohls jüngste Kapriolen äußerte sich auch Regierungssprecherin Malgorzata Niezabitowska, die der 'Gazeta Wyborcza‘ mitteilte: „Polen wollte die Frage des Reparationsverzichts nicht mit der Grenzfrage verbinden. Aber wenn die Bundesregierung darauf besteht, werden wir Entschädigungen für die über eine Million während des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland verschleppten Zwangsarbeiter einfordern.“ Die 'Trybuna‘, das Organ der aus der kommunistischen PVAP hervorgegangenen Sozialdemokratie, titelt auf der ersten Seite: „Kohl läßt die Maske fallen“. Der Bundeskanzler verlange vor der Wiedervereinigung einen Verzicht auf Reparationen und Garantien für die Rechte der deutschen Minderheit in Polen, sei aber als Gegenleistung nur bereit, nach der Wiedervereinigung die Grenze anzuerkennen.

Die polnische Regierung weist auch darauf hin, daß in der gemeinsamen Erklärung, die Mazowiecki und Kohl im vergangenen November abgegeben haben, Gegenseitigkeit vereinbart worden sei: Rechte nicht nur für die deutsche Minderheit in Polen, sondern auch für die polnische in der Bundesrepublik. Zugleich weisen polnische Beobachter darauf hin, daß Bonn ein Problem wieder aufwerfe, das im Grunde gelöst sei: Bereits zwei Anträge auf Gründung kultureller Vereinigungen für die deutsche Minderheit wurden in letzter Zeit von den Gerichten genehmigt: in Katowice und Oppeln. In Zabrze hat die „Kulturelle Vereinigung der deutschstämmigen Bevölkerung“ sogar schon ihr Kulturhaus eingeweiht, und kürzlich kandidierte in Oppeln sogar ein Vertreter der deutschen Minderheit bei den Nachwahlen zum polnischen Senat.

Angesichts der angespannten Lage zwischen Polen und Deutschen in Schlesien könne Kohls Erklärung der Minderheit mehr schaden als nutzen. In einer zwiespältigen Lage befinden sich auch viele polnische Intellektuelle, die in der Vergangenheit für ihren Einsatz für eine Verständigung mit Deutschland von der kommunistischen Staatsmacht verfolgt, verleumdet und lächerlich gemacht wurden. Sie fürchten jetzt - wie der Schriftsteller und Solidarnosc -Senatsabgeordnete Andrzej Szczypiorski im taz-Interview (auf Seite 10) - , in der polnischen Öffentlichkeit könnten jetzt wieder diejenigen Zulauf erhalten, die in der Tradition der alten kommunistischen Außenpolitik sich mit der Sowjetunion verbünden und die zunehmende Westorientierung des Landes rückgängig machen wollen.

Die Irritation ist in Polen auch deshalb so stark, weil noch während des Deutsch-Polnischen Forums in Posnan vor einer Woche Vertreter der Bundesregierung durchblicken ließen, eine endgültige Anerkennung der polnischen Westgrenze stehe noch vor der Wiedervereinigung in Aussicht. Das polnische Fernsehen berichtet derweil von verstärkter Unruhe unter der polnischen Bevölkerung in Stettin und der grenznahen Region. Gemeldet werden auch Spannungen aus Swinoujscie (nördlich von Stettin), wo sich polnische Einwohner über das Verhalten von DDR-Bürgern beklagen, die über die Grenze kommen. Den Berichten zufolge malen diese unter anderem Slogans wie „Diese Häuser gehören uns“ an die Wände polnischer Häuser.

Am Freitag abend haben etwa 300 Mitglieder des nationalistischen „Verbandes für ein unabhängiges Polen“ (KPN) für eine Mitsprache ihres Landes über die deutsche Einheit demonstriert. Sie versammelten sich vor den Botschaften der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Großbritanniens und der Sowjetunion, wo sie eine Petition mit der Forderung nach Beteiligung Polens an den geplanten Beratungen der vier Siegermächte und der beiden deutschen Staaten überreichten. In dem Schreiben sprachen sie sich dafür aus, die deutsche Einheit im europäischen Rahmen und unter Respektierung der nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegten Grenzen zu verwirklichen.

In der nächsten Zeit wird sich die polnische Regierungsspitze persönlich um Unterstützung im westlichen Ausland bemühen. Am kommenden Freitag wird Ministerpräsident Mazowiecki zusammen mit Präsident Wojciech Jaruzelski und Außenminister Krzysztof Skubiszewski nach Paris reisen, wo man Unterstützung durch Präsident Francois Mitterand erwartet. Für Ende März hat sich Mazowiecki dann in Washington angesagt. Margaret Thatcher hatte dem polnischen Premier schon im Februar bei dessen London-Besuch ihre Hilfe zugesagt.

Klaus Bachmann, Warschau