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Nur Bestandsaufnahme

■ „Vaterland ade?“, vergangenen Freitag in der ARD

Courage kann man Samuel Schirmbeck wahrlich nicht absprechen! Sein Film „Vaterland ade?“ (vergangenen Freitagabend in ARD) platzt mitten in eine Situation, in der die meisten unter Vaterland nur das eine verstehen, das deutsche. Schirmbeck plädiert für eine multikulturelle Gesellschaft. Deutschsein ist mehr als Deutschtum. Wohl wissend um die Gefahren der Intoleranz ruft er sich mit Heiner Geißler einen Politiker zum Zeugen, der wohl kaum in die Gefahr geraten dürfte, ein radikaler Linker zu sein.

Ausländerfeindlichkeit ist kein neues Problem. Seit der Öffnung der Grenze hat es sich jedoch in Ost wie West enorm zugespitzt. Das DDR-Bild, das uns da gespiegelt wird, ist kein angenehmes. Den Umgang mit fremder Kultur, die abgeschirmt, in ghettoähnlilchen Wohnsilos von uns ferngehalten wurde, haben wir nie wirklich gelernt. Zu vieles war nur politisches Gebaren.

Leider bleibt Schirmbeck trotz einiger Abstecher in die Historie viel zu sehr bei der Beschreibung oberflächlicher Erscheinungen. Die tieferen Ursachen der Ausländerfeindlichkeit, sicher in Ost und West unterschiedlich, bleiben im Dunkeln. Eine Bestandsaufnahme, mehr nicht. Hier und da bescheidene Bemühungen für Ansätze zu Lösungen, in Ost von unten, in West von oben.

Der beste Vorschlag vom Bürgermeister des ausländerpolitisch vorbildlichen Amsterdam: Das einzige, was hilft, ist Demokratie. Vom „Wir sind das Volk!“ zum „Wir sind die Völker!“ Demokratie und wirkliche Reisefreiheit. Nur mehr Weltkenntnis kann von dem Glauben befreien, Deutschland wäre die Sonne, um die sich der Rest der Welt dreht.

Trotz aller Kritik, im Zeichen der deutsch-deutschen Nabelschau ist jeder Versuch, den Blick wieder zu weiten, lobenswert. Spektakulär war Schirmbecks Film nicht. Die es ohnehin schon wissen, müssen ja nicht mehr aus der Ignoranz gerissen werden. Ich befürchte, daß viele der anderen das Ende des Films nicht mehr gesehen haben.

Martin Miersch

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