„Kommunistische Weltbewegung irritiert“

■ Honecker-Brief an einen treuen dänischen Genossen: „Die Verletzung meiner Würde ... ist zugleich eine Beleidigung der internationalen Arbeiterbewegung. Das wird, davon bin ich fest überzeugt, nicht gelingen.“

Von einem jahrelangen Führungsmitglied der Dänischen Kommunistischen Partei ist Erich Honecker eingeladen worden, einige Zeit in dessen Ferienhaus zu verbringen. Dem Antwortschreiben läßt sich entnehmen, wie Honecker sich zu der aktuellen Entwicklung der DDR stellt - Interviews lehnt er derzeit ab, da er für die Staatsanwaltschaft als „nicht vernehmungsfähig“ gilt.

Wir veröffentlichen Auszüge: „Lobetal, den 23.2.199

Lieber Genosse Wagner!

Mit tiefer Bewegung habe ich in diesen Tagen Dein Schreiben erhalten. Für die darin bekundeten Solidarität möchte ich Dir und Deinen Freunden recht herzlich danken. Wie ich aus ihm entnehme, habt ihr die Vorgänge, die zu einem Systemwechsel in der DDR führten, recht gut verstanden.

Die Ursachen, die zu einer solchen Tragödie führten, liegen jetzt offen zu Tage. Alle Veröffentlichungen in Verbindung mit meiner Absetzung nach dem 9. Plenum des ZK der SED erfolgten mit dem Ziel, das Ansehen meiner Partei und meiner Person im Volk zu untergraben und die kommunistische Weltbewegung zu irritieren. Dabei wurde meine Abwesenheit durch zwei schwere Operationen ausgenutzt. Meine Schreiben an das damals noch bestehende ZK der SED wurden durch Veranlassung von E. Krenz demselben nicht zur Kenntnis gegeben. Sie wurden der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. In ihnen habe ich alle Beschuldigungen, besonders des Macht- und Amtsmißbrauches, der persönlichen Breicherung beweiskräftig zurückgewiesen.

Honeckers Handschrift ...

Nun ist es offenkundig, warum das geschah. Die SED als die stärkste, führende Kraft der DDR wurde diskreditiert, lahmgelegt und zerschlagen. Der Weg zur Eingliederung in die kapitalistische BRD wurde, trotz aller noch vorhandenen Vorbehalte, festgelegt. Das zeigt sich jetzt mit aller Deutlichkeit. Ich brauche Dir und Deinen Freunden nicht zu sagen, was das für die Nachbarstaaten, für Dein Land bedeutet. ... Die Verletzung meiner Würde als Kommunist und ehemaliges Staatsoberhaupt der DDR erfolgt bewußt. Sie ist zugleich eine Beleidigung der internationalen Arbeiterbewegung, der untaugliche Versuch, die Ideale des Sozialismus in den Herzen der Menschen zum Erlöschen zu bringen. Das wird, davon bin ich fest überzeugt, nicht gelingen. Daß unser Bestreben nicht vergebens war, sondern Samen für die Zukunft gelegt hat, sieht man schon heute allein an der Tatsache, daß die Mehrheit der Bürger der DDR bei einem Arrangement mit der BRD, das heißt ihrer Verschluckung, keinesfalls die sozialen Errungenschaften vermissen möchten. Das ist eine Hoffnung für die Zukunft. ...

Herzlich danke ich Dir und Deinen Freunden für die Solidarität. Sie ist wohltuend und hilft mir, meine Krankheit zu überstehen. Gern würde ich mit meiner Frau, Du kennst ja Margot, Dein Angebot annehmen, die nächste Zeit in dem so gastfreundlichen Dänemark zu verbringen. Das ist uns leider jetzt nicht möglich. Gehe bitte davon aus, daß ich vor dem Gesetz nicht schuldig bin. Allen Anschuldigungen zum Trotz, man kann unsere frühere Politik, die dem Wohl des Volkes diente, nachträglich nicht kriminalisieren. Unsere Haltung ist klar und deutlich ... Erich und Margot Honecker