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„Allianz für Deutschland“ mit Schützenhilfe

Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und ehemaliger Oberbürgermeister von Westberlin Eberhard Diepgen leisten der „Allianz für Deutschland“ Wahl-Schützenhilfe /Lothar de Maiziere sieht den Wahlen und der Deutschen Einheit mit Zuversicht entgegen /Wahl-Kampf-Stimmung im Publikum  ■  Aus Berlin Andre Beck

Die Deutsche Einheit im Eilzugtempo braucht den Wahlsieg der „Allianz“: Von Schnur's Fall ins Schleudern und etwas aus dem Gleis geraten, organisierte die „Allianz für Deutschland“ auf dem Platz der Akademie in Berlin zwei Tage vor den ersten freien Wahlen erneut eine Wahlkampfveranstaltung mit Prominenz. Die drei durch das Schicksal alliierten Parteien verließen sich auf die Breitseite der ihr nahestehenden ersten Garde der West-CDU, die Schützenhilfe mit Ideen und Programmen zur Deutschlandpolitik und zum polemisch-rhetorischen Wahlkampf -Volltreffer leisten sollte.

Auf dem ehemaligen Gendarmenmarkt erschien der bessere Mittelstand und das Bürgertum, die sich mit den Attributen des hiesigen (für westliche Verhältnisse kargen) Wohlstands wie Auto und Garderobe schmücken und daran unschwer auszumachen waren. Vor den Nobelrestaurants standen sie in der Loge Spalier, umhüllt von einer Aura „Poison“ und „CD„ -Duft. Ihnen traten DDR-Sympathisanten und Autonome Szene aus Ost und West gegenüber, die lautstark vom Wahlkampf Gebrauch machten.

Herr Diepgen hatte Sehnsucht nach Harmonie. Der CDU -Politiker träumte vor den gut 2.000 Freunden und Gegnern, wie Frau Süssmuth galant und versöhnend bemerkte, von einem Europa vom Atlantik bis zum Ural. Er „erwünsche, erhoffe“ sich ein einheitliches Deutschland, eine einige Stadt Berlin. Diepgen kam in den anderen Teil der Stadt aus Sympathie zur DSU, CDU und DA. Leider wird er am 18. März noch nicht selbst wählen können. Das jedoch sollten die Bürger tun und dann mit Bedacht, nämlich richtig und rechts. Der Sozialismus habe abgegessen. Gleiche Rechte und gleiche Pflichten für Ost und West, soziale Sicherheit und eine Währungsunion, den schnellsten, den einfachsten und sichersten Weg in die Einheit schlägt Herr Diepgen vor. Dabei visierte er unaufhörlich und methodisch geschickt die wunden Stellen an, sprach von der Arbeit, die hier zu erledigen sei und die förmlich auf der Straße läge, ja jede Panik und Angst um die Existenz seien unsinnig. Und die mit den DDR-Fahnen in der linken Ecke, die sollten sich etwas schämen, platzte ihm drei Mal der Kragen.

In seiner markigen Rede - und hier sei auf den Scharfsinn des Polit-Eleven hingewiesen - traf der wirklich ins Schwarze und dorthin, wo es der politischen Konkurrenz am meisten weh zu tun scheint: die marode Wirtschaft, die versaute Demokratie, die abgefrühstückte SED-Herrschaft, Stasi und andere Unbilden geißelte er. Vermischt mit der ständigen Betonung des: „Das kennen Sie doch alles“, des „Gemeinsamen“ - von sozialer Verantwortung bis hin zum Besitz (auch die Wartburg ist die gemeinsame Wartburg aller Deutschen - Rita Süssmuth) und die Parole „Wir sind ein Volk“ kamen Appelle zur Marktwirtschaft, die sozial sein soll. Auch die Steigerung, weder Kapitalismus noch Sozialismus sollten in einem geeinten Deutschland angestrebt werden, war zu vernehmen. Diepgen warnte vor den Rattenfängern, auf die schon viel zu viele reingefallen sind. Bei seinem harschen Feldzug gegen die PDS, „Partei der Stalinisten und der Scham“, blieb kein Auge trocken. Und: „So leicht sind die Menschen in Deutschland nicht zu verdummen“, gab der ehemalige Stadtvater von Westberlin noch eins drauf.

Den Schlagabtausch mit der SPD erledigte dann der DSU -Landesvorsitzende vernichtend.

Der neugewählte DA-Vorsitzende und Minister Eppelmann kam nicht. Er ließ Grüße ausrichten.

Lothar de Maiziere's Versprechen, das schnelle Angebot einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion führe in eine Solidargemeinschaft, wurde mit Applaus und mit Pfiffen bedacht. Für die Wahl wünschte der CDU-Chef den Bürgern einen kühlen Kopf und Besonnenheit. Er wirkte sicher.

Im Verlaufe der Kundgebung kamen die rund 300 DDR-Fahnen schwingenden Jugendlichen in Wallung, die mit Rufen „Demagoge“, „Wo ist Schnur“, den Redeschwall der Spitzenpolitiker und Allianz-Kandidaten ständig unterbrachen. Der schockiert empörte Kleinbürger ließ sich zu Beschimpfungen hinreißen. Aufgebrachte Rentner redeten auf ein brandjunges Mädchen ein: Was sie denn überhaupt vom Leben versteht, „Du junges Ding...“. Den roten Schweinen ist eine Insel oder Kamtschatka gewünscht worden, da gehörten sie ja auch hin.

Obwohl der Kanzler nicht präsent war, um in Fettnäpfchen zu treten, war genug angestaut, was sich zwischen den Redepausen und Zeilen entlud.

Über alles versprühte Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die erste Frau auf der Portale zum Französischen Dom, neidlos gemeinsamen Charme. Das gemeinsame dominierte, in der gemeinsamen Zukunft, den gemeinsamen Problemen, die gemeinsam im fairen Umgang miteinander gelöst werden sollten, den gemeinsamen Zielen, eines gemeinsamen demokratischen Deutschlands.

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