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Nie gelernt, eigenständig zu arbeiten

■ Politiker vom „Wahlbündnis 90“ über die Sieger der DDR-Wahl

Der ehemalige Minister im letzten Kabinett von Modrow und Vertreter von Demokratie Jetzt Wolfgang Ullmann unterstrich am stärksten eine eigenständige Geschichte der CDU-Ost. „Die CDU gehörte wirklich zu den Parteien, die sich vor 1949 gewaltig gegen die Zumutungen von kommunistischer Seite gewehrt haben. Jakob Kaiser kommt ja aus Dresden. Und es hat erheblicher Anstrengungen bedurft, um ihn aus der späteren DDR zu vertreiben. Vornehmlich in der sächsischen CDU hat es hoch achtbare bürgerliche Politiker gegeben, die gegen die Gleichschaltungspolitik der SED Widerstand leisteten. Der letzte war Herr Hickmann, der unter beschämenden Umständen die Partei verlassen mußte. Die CDU hat auch einmal einen Außenminister gestellt, der in den vierziger Jahren bei einem Staatsbesuch in Polen verurteilt und bei der Rückkehr verhaftet wurde. Das war Herr Dettinger. All das sind Hinweise auf eine eigentständige Geschicht der CDU, die auch noch in gewisser Weise unter Otto Nuschke fortbestand. Sie ist erst von Götting beendet worden. Einen monolithischen Charakter hatte die CDU nie. Es gab zwar dann eine SED -hörige Parteiführung, aber in der Partei wirkten ziemlich eigenständige Gruppen, die zum Beispiel auch eine eigenständige Kunstpolitik gemacht haben. Ich weiß aus persönlicher Erfahrung, daß im Verlag der CDU, im Unions -Verlag, Leute arbeiteten, die immer in Opposition zur Parteileitung standen. Es ist daran zu erinnern, daß es der CDU zu verdanken ist, daß Leute wie Bobrowski, der nie ins Konzept des sozialistischen Realismus paßte, eine Existenzmöglichkeit hatten.“

Jens Reich, Mikrobiologe und Vertreter des Neuen Forums, hält von der CDU-Ost wenig: „Unter Götting gehörten die CDU -Politiker zu den schärfsten, die den Blockkurs mitgetragen haben. Auch schon deswegen, weil sie immer die Auseinandersetzungen mit den Kirchen hatten beziehungsweise mit dem Protest- und Widerstandspotential, daß sich im kirchlichen Raum herausbildete. Sie haben Pluspunkte für den Block gesammelt; sie waren die Partei innerhalb des Blockes, die am stärksten in die Bevölkerung hineingewirkt hat, während sich die anderen Parteien eher als Interessenvertretung von Handwerkern oder Gewerbetreibenden verstanden haben. Die CDU war schon eher eine zweite Volkspartei, eine kleine SED. Ich glaube, daß der ehemalige Vorsitzende Götting den Charakter auch der heutigen CDU geprägt hat. Die CDUler haben eine guten Rekord als Duckmäuser. Die LDPD ist immerhin im Herbst mit ein paar liberalen Vorstellungen hervorgetreten. Von der CDU kam nichts. Viele hatten eher Bauchschmerzen mit der Erneuerung der Politik. Ich kenne jedenfalls viele Leute, die gern ausgetreten wären, weil ihnen die Wende so nicht gepaßt hat.

Ich kann allerdings nicht ausschließen, daß de Maiziere ein gewisses Stehvermögen haben könnte. Er hat sich ja bei der Frage des Beitritts der DDR nach Artikel 23 sehr deutlich für die Interessen der DDR positioniert. In der Frage der Oder-Neiße-Grenze war er eindeutig. Auch in den Fragen der Nutzungsrechte und Besitzrechte gegen Eigentumsrechte hat er sehr deutlich für die DDR-Bevölkerung Stellung genommen. Aber ob er gegen die Dampfwalze aus Bonn standhalten kann, steht dahin.“

Konrad Weiß, Filmer und Vertreter von Demokratie Jetzt: „Die Geschichte der CDU in der DDR ist durchaus tragisch. Sie ist gegründet worden nach dem Krieg als Antwort auf die Erfahrungen des Dritten Reiches, und sie ist am Ende verkommen zu einer Erfüllungsgehilfin der SED. Sie hat nie gelernt, eigenständig zu arbeiten. Das hat sich auch bei diesem Wahlkampf gezeigt. Sie hat sich im Wahlkampf erneut einem Übervater, nämlich Helmut Kohl, unterworfen. So habe ich erhebliche Zweifel, ob sie nach dem 18. März eine eigenständige Politik gegenüber Bonn machen kann.

Ich denke zwar, daß die CDU in der Vergangenheit eine Reihe von Leuten aufgenommen hat, die dem Druck von außen und der Mitgliedschaft in der SED entgehen wollten. Insofern ist es die Partei der Angepaßten gewesen. Die Idealisten sind nach dem Parteitag im Herbst aus der Partei verschwunden. Die Neuzugänge wollten sich nur noch rechtzeitig auf den fahrenden Zug schwingen. Für mich hat die Partei kein eigenes Gesicht. Sie vereinigt eher viele unpolitische Menschen. Die wenigen aktiven und bewußten Christen werden es in dieser Partei noch schwerer haben.“

Klaus Hartung

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