Protesaktion Behinderter im Roten Rathaus

■ Eltern und Erzieher forderten konkrete Schritte vom Magistrat für eine tatsächliche Integration ihrer Kinder / Oberbürgermeister reagierte unter dem Druck entgegenkommend

Rund 50 Erzieher, Eltern, Angehörige und ihre geistig behinderten Kinder zogen gestern mit ihren Problemen in die Öffentlichkeit, in den Wappensaal des Roten Rathauses. Wenn man schon nicht zu ihnen kommt, dann gehen sie eben selbst zu den Verantwortlichen.

Nach jahrelangen Kämpfen wurde ihnen, den Betroffenen der Tagesstätte Tucholskistraße 17 ein Neubau versprochen. In ihrer jetzigen 17 Jahre alten Tagestätte herrschen die denkbar schlechtesten Bedingungen für 27 Kinder und Jugendliche. Die Räume für die Gruppen sind viel zu klein. Überhaupt entspricht bis hin zur Gardrobe kein Raum den notwendigen Normen. Es gibt keinen Platz für die Physoterapie, die Logopädie und für die Lehrmittel. Die Duschen sind nicht benutzbar, die Toiletten reichen nicht aus. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Doch das schon im Bau befindliche neue Objekt sollte nun, nachdem die Neubrandenburger Bauarbeiter abgezogen wurden, eine andere Bestimmung erhalten. Einen Supermarkt vielleicht, vermuteten sie. Die Proteste und Eingaben dagegen allerdings hatten schon einen Tag vor der geplanten Aktion im Rathaus Wirkung gezeigt: Der Oberbürgermeister Christian Hartenhauer und der stellvertretende Baudirektor Dr. Ahrens verbürgten sich dafür, daß der ursprüngliche Wohnkomplex in der Friedrichstraße durch Wohnungsbaukombinat Berlin bis 1991 fertiggestellt wird.

Doch damit war den Initiatoren der Aktion nicht der Grund zum Protestieren entzogen, denn „die vorgesehe Streichung des Objektes war nur ein Symtom für die Sache an sich“, meinte Klaus Erfort, Leiter der vor kurzem gegründeten Vereinigung Lebenshilfe für geistig behinderte Menschen. Diese hat bisher nicht die geringste staatliche Unterstützung erhalten, selbst die Eröffnung eines Spendenkontos war nur unter widrigen Umständen erst nach Wochen möglich.

Um die unhaltbaren Zustände für geistig Behinderte überhaupt zu schildern, waren auch Vertreter anderen Einrichtungen und Bezirke ins Rathaus gekommen. In Hellersdorf gibt es gar keine Tagesstätte, der Bau einer solchen Einrichtung wurde wieder verschoben. Mit demselben Problem sehen sich die Betroffenen in Hohenschönhausen konfrontiert, die ein solches Haus für 40 junge Menschen vom Oberbürgermeister einforderten.

Die Rehabilitationswerkstatt Weißensee versorgt in einem Raum (für 300 Mark Miete) 22 Rehabilitanden. Bis zum 30. Juni wird ihnen der Mietvertrag gekündigt, ohne daß eine andere Räumlichkeit in Aussicht ist.

Mit vielen freundlichen Worten und großem Verständnis reagierte der Oberbürgermeister auf die teilweise erschreckenden Aussagen. Für ihn und seine Mitarbeiter sei es auch ein Lernprozeß, den Stellenwert der Integration von Behinderten ins alltägliche Leben zu erkennnen. Deshalb habe der Magistrat vor zwei Wochen beschlossen einen Behindertenbeauftragten einzusetzen. Dieser wird geminsam mit dem Behindertenverband vorgeschlagen.

Als der Bürgermeister die Verantwortung der Betriebe und Kombinate hinsichtlich der Integration von Behinderten anmahnte, brach Unmut im Saal aus. Denn auch er hat in den Jahren zuvor im Bereich Kultur nicht viel für die Möglichkeiten Behinderter getan. Wieviele unserer Kulturhäuser sind denn tatsächlich auf den Besuch von Behinderten eingerichtet? Deshalb wollten die Eltern und Erzieher auch keinen Vorschußapplaus gewähren, zu oft sind sie mit großen Worten hingehalten worden. Daß einzige, was für sie jetzt zählt sind Taten.

Anja Baum

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