Währungsunion und das Grundrecht auf Wohnraum

Seit längerem laufende Untersuchungen am Zentralinstitut für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR beweisen, daß an den niedrigen Mieten und an den Subventionen insbesondere die einkommensstarke mittlere Generation profitiert hat, und nicht wie suggeriert, die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen.

Darüber hinaus ist festgestellt worden, daß das Festhalten an den zu niedrigen Mieten in engem Zusamenhang mit dem ins bodenlose wachsenden Bedarf an Neubauwohnungen bei gleichzeitig zunehmenden Zerfall der Altbausubstanz der Innenstädte steht. Die zu niedrigen Mieten bewirken eine Unterbelegung des Wohnraumes und in größerem Umfang Zweitwohnungen sowie den Wohnungsleerstand. Bei fehlenden privaten Investoren bildet sich ein für den Staat einfach nicht zu bewältigender Investitionsbedarf heraus, der gegenwärtig bei 11,5 Prozent des Nationaleinkommens liegt und sich bei unveränderten Finanzierungsformen auf rund 13 Prozent im Jahr 2000 erhöhen würde. Deshalb ist die Finanzierung des Wohnungswesens neu zu gestalten und marktwirtschaftlichen Prinzipien unter Berücksichtigung sozialer Erfordernisse unterzuordnen.

Von der Miethöhe hängt der Anreiz für private Investoren und eine vernünftige Bewirtschaftung im Interesse der Mieter ab.

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre das Modell „Bewirtschaftungsmiete mit Einkommensausgleich“. Schrittweise sollen die objektbezogenen Mietsubventionen in personenbezogene umgewandelt werden, wobei ein Teil der personenbezogenen Subventionen als genereller Einkommensausgleich (mehr Lohn, Rente, Kindergeld) und ein Teil in Form von Wohngeld in Abhängigkeit vom Familiennettoeinkommen gewährt wird. Damit sollte eine wesentlich differenziertere Bewertung des Gebrauchswertes der Wohnung unter Berücksichtigung der Ausstattung, der Wohnlage und des Wohnumfeldes einher gehen. Insgesamt würde somit eine sozial gerechtere Verteilung der Mietsubventionen erreicht und der überhöhte Bedarf an Wohnraum durch Umverteilungen reduziert, die einfache Reproduktion der Wohnbausubstanz gesichert und Wohnungsbauinvestitionen verschiedener Träger und Richtungen stärker gefördert werden. Die Mietbelastungsquote der Haushalte, die gegenwärtig bei 3 bis 4 Prozent liegt, würde sich insgesamt nicht erhöhen. Im Gegeneil. Für einkommensschwache Haushalte, die zum Teil erheblich mehr als 4 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für das Wohnen aufwenden, könnte sich diese sogar verringern, weil einkommensstarke Haushalte stärker zur Kasse gebeten werden.

Wesentlich komplizierter ist die Mietpreisveränderung bei der zu erwartenden Währungsunion. Die Währungsunion muß mit einer Angleichung der Preis- und Einkommensstruktur der DDR an die der BRD einhergehen. In diesem Fall ist damit zu rechnen, daß die Mieten schneller als die Einkommen steigen. Die Mietbelastungsquote der BRD-Haushalte liegt trotz Wohngeld und indirekter staatlicher Förderung bei 20 bis 25 Prozent und ist auf eine sogenannte „kostendeckende Miete“ zurückzuführen. Neben den Bewirtschaftungskosten fließen auch die anteiligen Kosten für Instandsetzung und Modernisierung, die Gewinne der Vermieter, Hypothekenzinsen, Bodenspekulationen und ähnliche in diese Quote ein. Um diese Mietpreisveränderungen sozial verträglich zu bewältigen, sind auf längere Zeit staatlich regulative Maßnahmen im Wohnungswesen unabdingbar.

Hierbei sind bestehende Eigentumsverhältnisse bzw. deren Veränderung zugunsten der Mieter beziehungsweise Nutzer zu sichern. Dringend notwendig ist ein Gesetz der am 18. März gewählten Volkskammer, in dem festgelegt wird, bis zu welchem Zeitpunkt Eigentümer, die entweder enteignet wurden oder die ihre Grundstücke, Häuser usw. von allein verlassen haben, ihre Ansprüche verwirkt haben. Aus wohnungswirtschaftlicher Sicht wäre es sinnvoll, alle Mietwohnungen in der DDR, soweit es von den Mietern erwünscht, in Eigentumswohnungen umzuwandeln und den gegenwärtigen Mietern für einen symbolischen Betrag, unter Berücksichtigung seines Anteils am Volkseigentum, zum Eigentümer zu machen. Der Vorteil dieser Regelung: die anfallenden monatlichen Belastungen für das Wohnen lägen wesentlich unter denen einer kostendeckenden Miete und bewegten sich in Höhe einer Bewirtschaftungsmiete einschließlich anteiliger Aufwendungen für Instandsetzung und Modernisierung. Eine Reihe von unproduktiven Kostenbestandteilen ließen sich einsparen.

Wohngeld kann auch bei Eigentumswohnungen in Anspruch genommen werden. Gleichzeitig wäre bei den zu erwartenden wachsenden Immobilienwerten in der DDR ein finanzieller Rückhalt vorhanden. Den kommunalen Wohnungsbewirtschaftungsbetrieben (als Vermieter) ist die Gemeinnützigkeit zuzuerkennen, wodurch ihre Gewinnhöhe auf maximal 5 Prozent festgeschrieben wird und dadurch Mieterhöhungen begrenzt werden. Das staatliche bzw. kommunale Eigentum an Grund und Boden ist zu sichern, um Bodenspekulationen mit ihren Auswirkungen auf die Mieten zu verhindern. Die Eigenbedarfsklausel bei Kündigungen in der DDR müßten sehr eng ausgelegt werden. Besonderer Kündigungsschutz und gesonderte Mietregelungen sind für Rentner und Arbeitslose durchzusetzen. Für Arbeitslose deshalb, weil ein Angriff gleichzeitig auf die beiden Grundvoraussetzungen menschlicher Existenz, Arbeiten und Wohnen, nicht nur erhebliche soziale Spannungen hervorrufen, sondern auch psychologisch für den Einzelnen nicht zu verkraften wäre.

Das Grundrecht auf Wohnraum für alle Bürger sollte seinen Niederschlag auch in der neuen deutschen Verfassung finden. Das Recht auf Wohnraum ist ein als elementares Lebensbedürfnis von den Vereinten Nationen erhobenes Menschenrecht. Im Artikel 25 der „Allgemeine(n) Erklärung der Menschenrechte“ heißt es: „Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und „Wohlbefinden einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet.“ Die verfassungsmäßige Verankerung des Grundrechtes auf Wohnraum ist somit nicht nur Ausdruck sozialökonomischer, sondern auch moralisch -ethischer Erfordernisse einer entwickelten Gesellschaft.“

Dr. Roland Diercke