Alter Kohl

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(Helmut Kohl - Szenen eines deutschen Kanzlers, 3.4., ZDF) Zum Geburtstag nur Gutes, und wenn es gar der sechzigste ist, dann gleich im Chor ein dreifaches „Hoch soll er leben!“ Helmut Kohl kann sich über diesbezügliche Jubelrufe wirklich nicht beklagen. Sat 1 hatte noch schnell eine eigenproduzierte Kanzlerhommage ins Programm geschoben (Kohl volkstümlich fußballkickend und staatsmännisch Paraden abnehmend), und selbst Hajo Friedrichs hielt am Ende der Tagesthemen ein kleines Anstandspräsent bereit. Das dickste Geschenk zum 60.Kohljubiläum präsentierte allerdings die Politikredaktion des ZDF.

Wolfgang Herles begleitete den Kanzler bei seinen letzten Auslandbesuchen, bei Staatsempfängen und Bundestagsdebatten, um so den Politiker und Menschen „vor dem Hintergrund epochaler Ereignisse“ zu porträtieren. Ein triumphierender Kanzler bei der Pressekonferenz in Moskau, nachdem Gorbatschow seine Zustimmung zur deutschen Einheit signalisiert hatte. Ein privater Kohl mit Ehefrau Marianne beim Schlürfen eines „Kanzlercocktails“. (Kommentar: „In großen, vereinnahmenden Zügen genießen, das kann er. Die Last der Geschichte drückt ihn nicht.“) Ein forscher Kanzler beim Straßburger EG-Gipfel. Ein kumpelhafter Kanzler im vertraulichen Gespräch mit Außenminister Genscher.

Die Chance, einen Blick hinter die Fassade zu werfen, hat Herles von Anfang an vertan, denn er ist dem Objekt seiner Begierde verfallen. Die Kommentare zu den Bildern schmeicheln selbst dann noch, wenn sie sich den Anschein des Kritischen geben. So mußte man darüber hinweghören und genau hinsehen, um Merkmale des wahren Kanzler-Ichs zu entdecken.

In Gegenwart von Journalisten gibt sich Kohl gern jovial und humorbegabt. Von Essen und Trinken ist mindestens genauso oft die Rede wie von der mit „heißem Herzen und kühlen Verstand“ vorangetriebenen Wiedervereinigung. Die mißlungene Gesangsdarbietung mit Pfeifkonzert vor dem Schöneberger Rathaus verärgert ihn so sehr, wie ihn die „Helmut, Helmut“ johlende Menge in Dresden hocherfreut. Er möchte die Massen ebenso dirigieren wie die Presse. Bei seinem Besuch in Ost-Berlin macht er sich auf dem Sofa so breit, als sei nicht Hans Modrow, sondern er der Gastgeber. Doch all die Peinlichkeiten, die anderen den Job, das Ansehen und die Freunde rauben würden, machen diesen fetten Kanzler immer noch beliebter.

Die gelungenste Geburtstagsüberraschung ließ sich übrigens RTL plus einfallen. Der Kölner Privatsender zeigte nämlich genau das, was unser Kanzler offensichlich am liebsten hat: Das große Fressen. Wohl bekomm's, Herr Kohl.

utho