Ein Lob der Verdrängung

Jörg Friedrich über die Bewältigung der Vergangenheit in Deutschland  ■ D E B A T T E

„Für den Bundesminister des Inneren: als Referentenentwurf“ - mit diesem „Brief an den Regierungsbeauftragten zur Auflösung der Stasi in der DDR“ wird eine Debatte eröffnet, deren Gegenstand die Bewältigung der Vergangenheit in Deutschland ist. Anlaß für diese Debatte ist die Diskussion um die Stasi-Machenschaften, ihre Verwicklungen und Folgen (nicht nur) in der DDR. Plädoyers und Gegenreden, Begutachtungen und Einsprüche, wie sie von offizieller oder unberufener Seite kommen könnten, sollen in den nächsten Wochen in loser Folge an dieser Stelle erscheinen. Auch fiktive Debattenbeiträge können dabei helfen, akzeptable Lösungen für die Wirklichkeit zu finden. Eine solche Debatte erscheint um so wichtiger, weil auch die Bundesrepublik auf eine über 40jährige Geschichte der Logik der Verdrängung zurückblickt.

Sehr geehrter Herr Fischer,

werte Damen und Herren

des Bürgerkomitees,

wenn ich heute erneut bei Ihnen zugunsten einer Amnestierung der Mitarbeiter des früheren Ministeriums für Staatssicherheit vorstellig werde, leitet mich keinerlei Sympathie für die Gepflogenheiten einer Geheimen Staatspolizei. Vielmehr spreche ich zu Ihnen ganz kollegial als Chef einer Behörde, die als Nachfolgerin des Reichsinnenministeriums sachverständige Amtshilfe anbietet. Ich erinnere, daß wir vor 40 Jahren etwa mit Autoren und Kommentatoren der Nürnberger Rassegesetze konfrontiert waren. Der Entwurf kam bekanntlich aus dem Innenressort. Im Auswärtigen Amt wiederum saßen Experten, die mit dem Madagaskar-Plan befaßt waren und der internationalen Holocaust-Statistik. Im Bundesjustizministerium wirkte der Vollstreckungsleiter bei der Enthauptung der Verurteilung der Weißen Rose. Kurz, soweit Sie Erfahrungen mit Funktionären verbrecherischer Staatsgewalt benötigen, können wir aushelfen. Wir, in der Innenverwaltung, haben ja nahezu die gesamte Himmlersche Polizei geerbt. Warum sollen Sie von unserer Personalkenntnis nicht profitieren?

Gewiß reden Ihnen Ihre west-linken Ohrenbläser ein, wie miserabel unsere Vergangenheitsbewältigung gelungen sei und wie prächtig sich nun der Osten säubern ließe. Bei Säuberungen jucken den Linken stets die Finger. Nun, diese Kreise haben gegen Polizeiterror von Kapstadt bis Belfast über Wackersdorf wacker demonstriert. An eine Ku'damm-Demo gegen Stasi-Schnüffelei und Mauermorde kann ich mich leider nicht entsinnen. Meiden Sie besser solch spät berufene Ethiker. Wenn der Herr Bundeskanzler und ich zum Stasi -Verbleib Stellung nehmen, dann zumindest als Männer, die den Terror zur Tatzeit auch Terror genannt haben. Bedenken Sie indessen, daß der deutsche Beamte subjektiv keinen Terror ausübt, sondern Staatsgewalt. Auch Sie verlangen vermutlich von Beamten keine Meuterei, sondern Loyalität. Als wir 1951/52 das Gesetz zu Artikel 131 Grundgesetz beraten haben, wußten wir durchaus, wie verheerend diese Tugend unter Hitler gewirkt hatte. Nun aber waren wir die Nutznießer. Darum haben wir den Nazi-Beamten gern Pflichterfüllung bestätigt, ihnen Versorgung garantiert und als Preis ihre fortgesetzte Treue kassiert. Gewiß, dies implizierte, daß unsere Strafjustiz von Mördern mit aufgebaut wurde. Tiefer kann der Rechtsstaat nicht sinken, denken Sie vielleicht. Durchaus. Er kann versinken. Sollte eine Reservearmee kaltgestellter Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Finanzbeamter und Offiziere Komplotte schmieden gegen die Republik? Wollen Sie in Deutschland Staat machen gegen diese Mannschaft? Und wenn ja, können Sie bei soviel Repression die Demokratie erhalten?

Glauben Sie mir, Herr Fischer, am sichersten ist diese Sippe untergebracht in ihren angestammten Ämtern. Da richtet sie das geringste Unheil an. Ja, Sie werden keine verläßlicheren Anhänger der neuen Ordnung finden als in den Belasteten des untergegangenen Systems. Sie müssen sich bewähren! Unsere Nazis haben wie die Besessenen uns und sich weißgemacht, schon immer zur inneren Opposition gezählt zu haben. Man hätte sie ja mit Gewalt zu Führertreuen deklarieren müssen. Warum soll man sich künstlich Staatsfeinde züchten, es gibt ohnedies genug davon. Auf innere Bekehrung verzichten Sie besser. Wer schützt Sie davor, daß der Einsichtige morgen etwas anderes einsieht? Sorgen Sie dafür, daß sein Vorteil fest auf Ihrer Seite liegt. Vorteilsnahme ist berechenbar, Überzeugungen wechseln. Darum, lieber Herr Fischer, passen uns die Ebelinge und Stasilinge weit besser ins Konzept als so sympathische Idealisten wie Sie und Ihresgleichen. Der Kompromittierte frißt uns aus der Hand, Sie hingegen stänkern. Darum werden wir das vereinigte Deutschland nicht minder auf die Ex-SEDler bauen wie weiland West-Deutschland auf die Ex-NSDAPler. Den Judenreferenten im Reichsinnenministerium Lösener haben wir seinerzeit bei der Oberfinanzdirektion Köln untergebracht, Himmlers Judenmordstatistiker Korherr im Bundesaußenministerium; beide haben sich, gottlob, zu Widerständlern ausgerufen. Anders hätten wir sie schwer einstellen können. Die geschichtliche Wahrheit, lieber Herr Fischer, überlassen sie getrost der Geschichte. Solange die Kameraden noch existieren, müssen wir ihnen die Lebenslüge gönnen. Wissen Sie warum? Wenn Sie solche Charaktere mit der lückenlosen Aktenbeweislage konfrontieren, fangen sie an, sich zu rechtfertigen. Unversehens erklären Ihnen Tausende von Leuten, warum Juden unter Ausnahmerecht gehören, Pazifisten in Arrest oder ein Volk hinter Stacheldraht und Todesstreifen. Lassen Sie einen Fluchtweg offen, beteuern dieselben Leute, daß sie nichts gewußt haben oder Sand ins Getriebe gestreut haben. Bunkern Sie die Akten ein, die Geschichte währt noch lang und bringt die Tatsachen früh genug ans Licht.

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Unsere Justiz hat die Angehörigen des früheren Volksgerichtshofs nachträglich als unabhängige gewissenhafte Richter bezeichnet. All diese Schergen amtierten seinerzeit noch oder verzehrten Pension. Nachdem sie zur Hölle gefahren sind, hat sie der Bundestag im Jahre 1985 einstimmig zu Terroristen degradiert. Die Wahrheit braucht ihre Zeit und der Mensch seine Illusionen. Wer respektiert eine Justiz, die von früheren Kopfjägern durchsetzt ist? Todesurteile haben sie indessen nie mehr gefällt. Ihre Vergangenheit haben sie selber gelöscht, wie einen blutigen Klecks. Moralisch widerwärtig, politisch hilfreich. Sie nennen es Opportunismus, ich nenne es Staatsräson. Auf die Namen kommt es mir aber nicht an, sondern auf die Haltbarkeit. Wissen Sie, Herr Fischer, man kann die Demokratie in Deutschland nicht nur auf die Demokraten gründen. Die anderen müssen mit von der Partie sein. Als Chaoten sind sie nämlich begabter denn als Staatsmänner. Versuchen Sie ruhig, die jüngere Geschichte Ihres Vaterlandes etwas realistischer zu sehen.

Lassen Sie mich bitte mit einer fürsorglichen Warnung an Sie schließen, zumal Sie meine Darlegungen sowieso als Machiavellismus mißverstehen werden. Sie wünschen aufrichtig Sauberkeit und Ehrlichkeit. Bei der Vielzahl der von Ihnen aufzuklärenden Delikte benötigen Sie allerdings eine Masse Helfer. Denunzianten, Juristen, Polizisten, Ideologen. Vielleicht ist Ihnen angelegentlich des Falles Honecker aufgefallen, daß sich zu Säuberungen gerne solche berufen fühlen, die den meisten Dreck am Stecken haben. Wo immer Personen zu jagen, zu strafen und fertigzumachen sind, ist eine Sorte Mensch zur Stelle, der es gar nicht um Ihre lauteren Zwecke geht. Sie lechzen vielmehr nach dem Mittel der Verfolgung und suchen Gelegenheit aufzutrumpfen, zu demütigen, zu lynchen. Diese Interessenten rekrutieren sich zumeist aus der Schar ehemaliger Duckmäuser, die mit ihrer eigenen Deformation abrechnen. Zudem zieht es die Fachleute der Repression stets an den Tatort zurück. Dort sind Sie heute Befehlshaber. Solche kommen und gehen. Den Schinder interessiert daran nur, daß die Schinderei bestehen bleibt. Wenn ich im West- und Ostfernsehen angesichts der Schnitzlers und Honeckers die Dreistigkeit der Journaille betrachte, die ihre Posten gemeinhin wauwauhafter Subalternität verdankt, keimt böser Verdacht in mir. Die Geste der Abrechnung und Ausmerzung weckt in devoten Naturen Züge der Quälgeisterei. Geben Sie diesen verkappten Stürmern nie die Gewalt über Ohnmächtige. Im Buckeln sind sie vorzüglich, in der Hatz entsetzlich. Wer dazu die Geister dieses Landes aufruft, wird sie bald selber nicht mehr los. Mit bestem Gru

Jörg Friedrich, Jahrgang 1944, lebt in Berlin und ist Autor der Bücher Freispruch für die Nazi-Justiz und Die kalte Amnestie . NS-Täter in der Bundesrepublik.