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Adler dürfen sich küssen

Frankfurter Landgericht urteilt zugunsten der Freiheit der Kunst und der Meinung  ■  Von Heide Platen

Frankfurt (taz) - In vier Gerichtsverhandlungen hatte die Viecherei drei Instanzen beschäftigt. Gestern endete sie mit einem Freispruch. Das Geflügel, das ein Kasseler Kunststudent vor Jahr und Tag in Szene setzte, ist Kunst und damit straffrei, entschied die Erste Große Strafkammer des Frankfurter Landgerichtes. Als da sind: zwei Adler, einer faschistisch gefiedert und mit dem Hakenkreuz in den Krallen, der andere bundesdeutsch. Die Vögel schmiegen sich aneinander und tauschen einen - durchaus artgerechten Zungenkuß. Staatsanwalt Claude assoziierte in dieser „züngelnden Verbindung“ eine „gewisse Innigkeit“. Die Graphik war Gegenstand eines Verfahrens wegen Verunglimpfung des Wappens der Bundesrepublik gegen den kommunistischen Herausgeber der Zeitschrift 'Gegen die Strömung‘, Walter Hofmann.

Hofmann vertrieb die Raubvögel zuerst in einem Faltblatt gegen die Volkszählung im Frühjahr 1987. Angetan von der Resonanz, legte er das Motiv dann auch gleich als Plakat und als Aufkleber auf, obwohl es ihm selbst „gar nicht so gefallen“ habe. Es diente ihm „wie die Faust aufs Auge“ zur Illustration eines Zitates von Bundesinnenminister Zimmermann aus dem Jahr 1983: „Bei den 19 Volkszählungen, die es seit 1871 gegeben hat, gab es keinen einzigen Fall der Verletzung des Statistikgeheimnisses.“

Verteidiger Eschen und Staatsanwalt Claude beriefen sich in ihren Plädoyers beide auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März dieses Jahres, das sich in einem weitaus krasseren Fall für die Freiheit der Kunst entschieden hatte. Sie forderten beide die Aufhebung vorangegangener Verurteilungen und einen Freispruch. Staatsanwalt Claude ordnete das Kunstwerk dabei als eine „Beschimpfung innerhalb der Grenzen“ ein. Vorsitzender Richter Dr. Scheier begründete den Freispruch auch damit, daß nicht nur der Künstler und sein Werk, sondern auch deren Verbreiter geschützt seien: „Kunst ist nicht frei im Rahmen der Gesetze, sondern frei.“ Weiß der Kuckuck!

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