Der Moloch mit dem Dreizack kehrt nach Ludwigsfelde zurück

■ Wunderbare Chance oder grausige Erinnerung: Der Daimler-Konzern kommt in die Kleinstadt zurück

Die Geschichte hat die Gegenwart in Ludwigsfelde eingeholt. Als im vergangenen Jahr der Daimler-Benz-Konzern Hochzeit mit dem Rüstungsgiganten MBB feiern wollte, beschäftigte sich die Betriebszeitung des IFA-Nutzkraftwagenkombinats 'Start‘ noch seitenlang scharfzüngig mit der Rüstungsgeschichte des schwäbischen Unternehmens. Die beabsichtigte Fusion sei für den „staatsmonopolitischen Kapitalismus durchaus typisch“.

Für die Betriebszeitung war die Fusionsdiskussion aktueller Anlaß an die Geschichte des Werkes zu erinnern. Denn der Daimler-Benz-Konzern hat in Ludwigsfelde, einer grauen Stadt südlich von Berlin, Spuren hinterlassen. Hier, auf dem Gelände des heutigen Nutzkraftwagenwerks, produzierte Daimler bis 1945 knapp 35.000 Flugzeugmotoren. Bis zu 17.000 Menschen, über die Hälfte davon Zwangsarbeiter und Militärinternierte, schufteten sich im Werk blutig, froren und hungerten in den Holzbaracken in und um Ludwigsfelde (s.taz vom 23.2.).

Jetzt steht dieser Konzern, vor der Tür des IFA-Werkes und begehrt Einlaß. Der Vorvertrag für ein Joint-venture ist unterschrieben.

Was sagen nun die 'Start'-Autoren zu dieser Entwicklung, und speziell die, die sich seit Jahren im „Ortschronistenverein“ mit der Geschichte der Ortschaft, mit Daimler-Benz und mit dem IFA-Werk beschäftigen. Auf Initative von Gerhard Birk, Historiker im „Museum für deutsche Geschichte“ in Ost-Berlin und langjähriger Einwohner von Ludwigsfelde, und Helmut Bauer, Schriftsteller aus Stuttgart mit mehrjähriger Schlossererfahrung bei Daimler-Untertürkheim, kam jetzt im Arbeiterwohnheim der Stadt ein erstes Treffen zwischen Zeitgeschichtlern aus dem Westen und ehemaligen Arbeitern des Flugmotorenwerkes zustande.

Heinz O. ist einer dieser Daimler-Benz-Veteranen. 1937 begann er im Flugmotorenwerk eine Dreherlehre. Der Krieg hat den Dreherlehrling nicht erschreckt, er war leidenschaftlicher Nationalsozialist, ein Hundertfünfzigprozentiger. Vorgesetzer wurde er für französische Kriegsgefangene und sogenannte „Westarbeiter“. „Denen ging es besser als den Russen, die waren schlimm dran“, erinnert er sich: „Schläge waren für die an der Tagesordnung“. Aber er hat nicht gegen Willkür und Ungerechtigkeiten protestiert, die nach Rassen und Nationen differenzierte Werkshierarchie war Bestandteil des Systems und Teil der eigenen Weltanschauung. „Aufgewacht“ ist Heinz O. erst mit den Bomben, die im August 1944 auf das Werk prasselten. Da saß er im Keller und hatte Angst um sein Leben, später hat er mitgeholfen, die Leichen zu zählen. Nach dem Krieg war er, wie viele Ludwigsfelder, arbeitslos, „da hatte man Zeit über sich nachzudenken“.

Aber die langen Jahre der Gelegenheitsbeschäftigungen, erst 1965 öffnete das IFA-Werk seine Pforten, haben ihn gedemütigt: „Die Erfahrung gönne ich keinem.“ Und genau deshalb, will er all seine Resentiments gegen Daimler über Bord werfen, denn ohne die Finanzspritzen aus Stuttgart würde alles wieder so werden, wie es bis 1961 war. Geld hatten nur die „Putzgeschwader“, die täglich schwarz über die Grenzen fuhren. Die Rückkehr des „Dreizacks“ sei eine einzige wunderbare Chance für die Stadt, die es zu nutzen gelte. „Aber Daimler darf nie wieder in Ludwigsfelde Produkte fabrizieren, die in irgendeiner Weise der Rüstung nützen.“

Das hält auch Katherina K. für das Allerwichtigste. Ihre Erinnerungen an die Kriegszeit bei Daimler sind nie verblaßt. Die schmalen Gesichter der blutjungen russischen Zwangsarbeiter stehen ihr heute noch vor Augen. „Es ist wichtig zu wissen, mit wem wir es in Zukunft zu tun haben, und es ist gerade deshalb wichtig, die Daimler-Geschichte von Ludwigsfelde aufzuschreiben.“

Für den jungen PDS-Bürgermeister ist dieses „Wissen wollen über Daimler“ Voraussetzung, um in Zukunft als selbstbewußter Partner mit dem Konzern verhandeln zu können. „Wir müssen den Konzern kennen mit all seinen Schattenseiten, sonst werden wir zu hilflosen Bittstellern.“

Anita Kugler