■ TV SPLITTER
: Mit ARD und ZDF sitzen wir nicht in der Dritten Welt

Die Wahlen rücken immer näher, der deutsche Nabel wird auf allen Kanälen in voller Ausgewogenheit betrachtet. Die Meinungsfreiheit — also die Freiheit von der eigenen Meinung — wird bei den Fernsehjournalisten in so einfältiger Vielfalt dargeboten, daß man sich fragt, warum sie überhaupt noch dabei sind, wenn Politiker antworten. Das Dankeschön könnte man doch auch den Ansagern überlassen.

Auf diese Art und Weise entstehen zwar viele realsatirische Sendungen, die auch wehtun, aber keinrlei Pointen enthalten. Das kommt davon, wenn man Realpolitikern auch noch die Bewertung ihres komischen Tuns überläßt. Wer sollte da noch lachen? Es ist ja wohl nur für den nicht von ihnen Regierten komisch anzusehen, wie wenig Persönlichkeit heutzutage zu einer Politikerpersönlichkeit gehört.

Die deutschen Vereinigungs- Fernsehfestspiele sind vorbei, aus dem Hauch der Geschichte wurde der Mief des Wahlkampf-Alltags.

Hätte die Berliner Polizei in der Mainzer Straße in Ost-Berlin nicht gezeigt, wie man in so blutleeren Zeiten doch noch einen real-demokratischen Horrorkrimi inszenieren kann, die Nachrichtensendungen wären wohl gezwungen gewesen, ihre alltäglichen Horroranteile aus der Dritten Welt zu holen. Aber der Unterhaltungswert dortigen Alltagsschreckens ist zu gering.

Hunger zum Beispiel ist kaum noch bildschirmträchtig. Die Bilder sind alle schon mal gesendet, und die Hungergebiete — seien sie uns auch geographisch näher gerückt — liegen uns so unendlich fern. Man mag nicht mal hindenken. Vielleicht sollte man die Dritte Welt überhaupt irgendwelchen Dritten Programmen überlassen, Regionalprogramme für vergessene Regionen.

Auch die Golfkrise scheint vorerst ihren medienpolitischen Höhepunkt überschritten zu haben. Die Tränen der heimgeholten Geiseln und ihrer Angehörigen sind über den Bildschirm geflossen. Bei den Zurückgebliebenen stehen keine Kameras, wie ja Kameras überhaupt immer nur dort aufzutauchen pflegen, wo ein Politstar in die langweiligen Alltagsschrecken von Alltagsmenschen hinabsteigt.

Oder wo Vermummte Steine werfen, damit die Polizei dann zeigen kann, daß sie noch immer Herr einer Lage ist, die von Politikern nicht mehr beherrscht wird. Das bietet diesen Politikern dann wieder Gelegenheit, sich auf sehr wahlwerbewirksame Art von jeder Art von Gewalt zu distanzieren, die nicht vom Staat ausgeübt wird.

Ja, es war eine traurige Fernsehwoche. Selbst der rote Koffer mit den Honecker-Akten reichte nur für einen Magazinbeitrag. Ob dieser Koffer irgendwas Sensationelles enthielte, wußte noch keiner zu sagen. Aber daß der Koffer rot ist und etwas mit Honecker zu tun hat, das ist in so ausgewogenen Fernsehzeiten schon eine Sensation.Peter Ensikat