Der Weg des Pfarrers

■ Peter Turrinis Kolportage „Tod und Teufel“ in Wien

Der Pfarrer Christian Bley fährt vom Land in die Stadt, um die Sünde zu suchen. Er gerät in ein Sexlokal, wo er von „keinem Feuerschlucker, aber einem Spermaspucker“ oral befriedigt wird. Lernt Madga Schneider, eine ehemalige Kassiererin eines Supermarktes kennen und verschwindet kurzzeitig in ihrer Gummivagina, die laut Turrinis Regieangabe wie „ein Schlauchbboot mit Spalt“ aussieht. Wird rauschgiftsüchtig, trifft auf einen Waffenhändler, der im Beisein des Pfarrers und eines Ministers für Landesverteidigung ein Gewehr mit Wählscheibe vorführt, auf der man die zum Abschuß gewünschte Rasse einstellen kann. Die bei diesem Probeschießen getroffenen arabischen Zeitungskolporteure werden weidgerecht zubereitet und anschließend von einer illustren Jagdrunde vergespeist. Ob so viel Leid und Ungeheuerlichkeit kann Bley, nackt in einem Schließfach sitzend, nur noch verkünden: „Der Himmel ist auf die Erde gefallen. Es gibt keine Sünde, es gibt keine Vergebung mehr. Die Menschen haben Gott die Sünde abgekauft, er kann ihnen nichts mehr vergeben.“ Von Rudi, einem jugendlichen Arbeitslosen, mit dem er auf seinem Passionsweg immer wieder zusammengetroffen ist, wird er aus den Händen zweier Polizisten befreit. Da dabei ein Polizist angeschossen wird, werden sie in der Sozialwohnung Magda Schneiders umstellt: Rudi und Magda werden durchs Fenster erschossen, der Pfarrer hat sich mittlerweile selbst an den Kasten genagelt.

Stoff genug, um Christen in ihren religiösen Gefühlen zu verletzten — Christen, denen, in einem Klima absoluter Gleichgültigkeit religiösen Dingen gegenüber, jede Blasphemie willkommener Anlaß ist, sich selbst aus ihrer Bedeutungslosigkeit aufzuschrecken.

Anzeigen, die Turrini in Untersuchungshaft bringen möchten, wurden von einem österreichischen Staatsanwalt nun auf eine Art beantwortet, die das Verhältnis von Text und Aufführung auf eine in ihrem Kern zutiefst katholische Weise bestimmt, indem es der Kraft des Bildes gegenüber der Bedeutung des Wortes den Vorzug gibt: Man müsse sich zuerst die Inszenierung Peter Palitzschs anschauen — er, der Staatsanwalt, könne sich aber nicht vorstellen, daß der Regisseur das so inszeniert, wie Turrini es geschrieben hat.

Palitzsch jedenfalls goß nicht mit einer schrillen Revue weiter Öl ins Feuer dieser Auseinandersetzung, sondern gab mit einer einfühlsamen psychologischen Personenführung jedem in seinen religiösen Gefühlen angeblich verletzten Menschen die Möglichkeit, den Protagonisten als, wenn auch nicht irregeleitete, so doch leidende Kreatur und somit als seinesgleichen zu akzeptieren.

Martin Schwab spielt den Pfarrer als Schmerzensmann, der die Selbstkreuzigung als verzweifelten Akt eines in die Ausweglosigkeit geratenen Menschen vorführt — und nicht als Provokation eines sich von allen religiösen Dingen Lossagenden, der das bedeutendste Bild des Christentums der Lächerlichkeit preisgibt.

Diese menschliche Haltung Palitzschs wird jedoch beim ahnungslosen Rudi, der wie der Pfarrer in die Stadt geht — nicht jedoch um die Sünde zu suchen, sondern um beim Film sein Glück zu machen — endgültig problematisch. Uwe Bohm gerät sein rechtsradikale Sprüche klopfender Rudi zu einer Gestalt, der zwar mit der Pistole nervös herumfuchtelt, aber von der keinerlei Bedrohung ausgeht. Ebenso gekonnt gibt Tana Schanzara eine ähnlich problematische Rolleninterpretation, wenn sie die arbeitslose Alkoholikerin Magda so Sympathie erheischend anlegt, daß sich in Hinkunft kein Sozialfall mehr erlauben wird können, einfach den Lebensumständen entsprechend unerträglich zu sein.

Daß Ignaz Kirchner die Figur des Waffenhändlers nicht einfach auf den Teufel reduziert, macht es hingegen möglich, daß eine Szene wie die der Waffenvorführung in ihrer Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit etwas Skandalöses bekommt. Hier funktioniert Palitzschs Regiekonzept, das auch auf die Darstellung des Verspeisens der Leichen verzichtet.

Zur Problematik, daß die Darstellung von Sexualität in unserer Gesellschaft als anstößiger empfunden wird als die Darstellung von Gewalt, ist Palitzsch nicht mehr eingefallen als die Reproduktion dieser Verlogenheit. Wenn Ignaz Kirchner, der auch einen Angestellten eines Sexlokals darstellt, den Pfarrer oral befriedigt, sitzt er mit dem Rücken zum Publikum auf Martin Schwab und verdeckt mit seinem Körper die Aktion. Wenn Uwe Bohm aber durchs Fenster erschossen wird, dreht er sich zum Publikum, präsentiert seine Wunde und spielt den Akt des Sterbens frontal aus. Dieter Bandhauer

Tod und Teufel von Peter Turrini. Regie: Peter Palitzsch; Bühne: Mathias Kralje; mit Martin Schwab, Uwe Bohm, Tana Schanzara, Ignaz Kirchner. Wiener Burgtheater. Nächste Aufführungen: am 17., 19., 27.November.