Friede zur Feier der Samtrevolution

Anarchos und Rechtsradikale sorgen für harmlose Spannung auf dem Wenzelsplatz/Bush sichert Unterstützung zu  ■ Aus Prag Walter Oswalt

Entschlossen steuerten etwa 3.000 Demonstranten, die meisten in schwarz, viele vermummt und mit Anarchoflaggen, einen hochsensiblen Punkt an: Die Absperrungen der Polizei am obersten Ende des Wenzelsplatzes. Genau hier sollten in gepanzerten Limousinen die Präsidenten Bush und Havel zu ihrem Auftritt in einem schußsicheren Glaskäfig vor den 100.000 US-fähnchenschwingenden Prager Bürgern anfahren. Aber die nachrevolutionär verunsicherten Polizeibeamten leisteten keinen Widerstand und ließen die Prager Anarchisten passieren.

Mitten auf der Zufahrt zur Redetribüne nahmen sie Platz und riefen „Yankee go home“. Einer der Teilnehmer verkündete: „Was wir hier wollen, ist Kreuzberg.“ Tansparente gegen die amerikanischen Invasionen in Grenada und Panama, Parolen gegen die Fortexistenz stalinistischer Strukturen nach der Revolution, für garantiertes Mindesteinkommen und gegen den neuen Rassismus in der Tschechoslowakei. Für eine halbe Stunde sah es fast so aus, als müßte genau ein Jahr nach dem brutalen Polizeieinsatz der alten Diktatur wieder die Polizei eingesetzt werden, nur diesmal von den zu Ministern avancierten Revolutionären. Aber die Maskierten hatten keine Mollis, sondern Scherze im Gepäck: „Daß Bush in einem Panzerglaskäfig zu der Bevölkerung reden soll, kann nur einen Grund haben: es geht darum, Bürger Prags vor eventuellen Schüssen durch den US-Präsidenten zu schützen. Denn unsere Regierung weiß, wie gut die Kontakte Bushs zur Waffenindustrie sind.“ Die unsicheren Polizisten brauchten nicht zuzuschlagen. Statt dessen lösten unbewaffnete US-Sicherheitsbeamte (die gestern den gesamten Wenzelsplatz beherrschten) und ehemalige Oppositionelle, die in die Verwaltungen des neuen tschechoslowakischen Verfassungsschutz aufgestiegenen sind, das Problem gemeinsam: Mit Handbewegungen und ein paar energischen Worten. Die zur politischen Aktion entschlossenen Anarchisten zogen ab.

Vaclav Havel zeigte sich in seiner Ansprache über die Ergebnisse der Samtrevolution enttäuscht, während Bush zur Feier des Jahrestages versicherte, „Amerika wird ihnen beistehen“. Die USA werde die Entwicklung des privaten Sektors mit einem Unternehmensfond von 60 Millionen Dollar fördern. Die Konzerne Bell-Atlantic und US-West erhielten den Auftrag im Wert von 148 Millionen Dollar, das Telefonnetz in der CSFR zu sanieren. Der Präsident versäumte es denn auch nicht, die CSFR aufzufordern, sich den USA anzuschließen, um die neue internationale Ordnung auch am Golf zu verteidigen. Die Tschechen und Slowaken wüßten wohl aus eigener Erfahrung, daß man die Augen angesichts einer Aggression wie der des Irak gegen Kuwait nicht verschließen dürfe. Es habe keinen Sinn, einen Agressor beschwichtigen zu wollen, sagte Bush.

Eine zweite Protestaktion gegen den Bush-Besuch verlief nicht in einer solch entspannten Atmosphäre. Einige 1.000 aggressive Sympathisanten der rechtsradikalen „Republikaner“ hatten auf der offiziellen Kundgebung einen eigenen Block gebildet mit Transparenten wie: „Kommunistische Partei=Bürgerforum“. Lautstark verbreiteten sie die Verschwörungstheorie, Havel und die anderen Revolutionäre vom 17.11.1989 seien nichts anderes als Kommunisten. Ein wichtiges Detail dabei: Der Führer der Rechtsextremen Slàdek war selbst ein Stalinist. Er war unter dem alten Regime Zensor und sorgte mit dafür, daß Kritiker des Realsozialismus ins Gefängnis wanderten. Als die Rechtsradikalen nach Bush's Rede eine eigene Kundgebung am Rande des Wenzelsplatzes veranstalten wollten, steigerte sich die Aggression zwischen Rechtsradikalen und mehr als 1.000 Anhängern des Bürgerforums bis an den Rand der gewalttätigen Auseinandersetzung. Doch auch diese Gegendemonstration wurde schließlich friedlich aufgelöst.

Auf einer anschließenden Pressekonferenz gaben sich Havel und Bush sodann einig, daß die irakische Agression gegen Kuwait beendet werden müsse. Havel kündigte an, daß Prag 183 Militärspezialisten für Chemiewaffen an den Golf schicken werde.