K.O-Edukation? Nein danke!

■ In Bremen starten Versuche mit getrenntem Unterricht für Jungen und Mädchen

Die Koedukation, vor dreißig Jahren als Nonplusultra moderner Bildungspolitik erkämpft, ist ins Gerede gekommen. K.O-Edukation nennen engagierte Frauenforscherinnen den gemeinsamen Unterricht von Jungen und Mädchen. K.O gehen ihrer Meinung nach dabei die Schülerinnen, denn von Gleichberechtigung in den Klassenzimmern könne nicht die Rede sein. Vordergründig sprechen die Zahlen gegen sie: Mädchen haben die besseren Noten, machen die höheren Abschlüsse und bleiben seltener sitzen als Jungen. Doch bei Licht betrachtet gilt in den meisten Schulen immer noch der „heimliche Lehrplan“: Mädchen stricken, lernen fleißig Sprachen und sind für das soziale Klima in der Klasse zuständig; Jungen glänzen am Computer, bedienen den Dia- Projektor und bauen die Versuche im Physikunterricht auf.

Die Dortmunder Frauenforscherin Sigrid Metz-Göckel verblüffte viele mit einer Studie, nach der überdurchschnittlich viele Studentinnen mathematisch-naturwissenschaftlicher Fächer ihr Abitur an Mädchenschulen abgelegt hatten. Grund genug für die Wissenschaftlerin, die Erhaltung und Wiedereinführug von Mädchenschulen zu fordern. Die Disskussion war eröffnet — und plötzlich sahen sich engagierte Feministinnen einig mit Konservativen und religiösen Fundamentalisten.

Mädchenschule? Bloß nicht

„Mädchenschule? — Bloß nicht! Ich war selbst auf einer, ich weiß, wie das ist“, winkt die Bremer Grüne Arnhild Moning auf die Frage nach dem grünen Standpunkt zur Koedukation an Bremer Schulen ab. Ein mehrheitsfähiges Programm zum Thema Chanchengleicheit im Unterricht scheint sich in der grünen Fraktion nicht durchsetzen zu können. Ein Faltblatt, das von einigen Frauen dazu erarbeitet wurde, möchten andere lieber nicht an die Öffentlichkeit geben.

Auch Marianna Isenberg, Vorsitzende des Bremer Elternbeirats, lehnt die „Rückwärtsentwicklung“ zur reinen Mädchenschule ab. Sie plädiert für „phasenweise Trennung“ von Jungen und Mädchen in Fächern wie Informationstechnische Grundbildung, im Sport oder im Aufklärungsunterricht, wenn die Mädchen das wollen. Grundsätzlich findet sie es aber wichtig, daß Mädchen und Jungen in gemischten Klassen voneinander lernen. „Schließlich leben Männer und Frauen in dieser Gesellschaft auch nicht getrennt“, meint die Mutter einer Tochter und eines Sohnes. Keinesfalls möchte sie, daß die Jungen unter sich bleiben und nur lernen, daß „Computer das Größte“ sind. Denn nach Sinn und Unsinn von Computern fragen ihrer Meinung nach eher die Mädchen.

Gegnerinnen der Mädchenschulen warnen vor dem „Puddingabitur“ und davor, daß Abschlüsse von Mädchenschulen letztlich als minderwertig eingestuft werden könnten. Die „gesellschaftliche Praxis“, in der typische Frauenberufe üblicherweise schlecht bezahlt werden und traditionell weibliche Tätigkeiten einen niedrigen Stellenwert haben, scheint ihnen recht zu geben. Dennoch hält Brigitte Melinkat von der Bremer Gleichstellungsstelle das Argument des „Puddingabiturs“ für „hanebüchen“. Sie vertraut auf Lehrpläne und Schulbehörden, deren Aufgabe es ist, darauf zu achten, daß Lerninhalte und Schulabschlüsse vergleichbar bleiben. Aufhebung der Koedukation bedeute noch lange nicht Rückkehr zu „Feuerzangenbowle“ und einer flächendeckenden Trennung von Männlein und Weiblein, argumentiert die Gleichstellungsfrau, die „das Problem modellhaft angehen“ möchte. Brigitte Melinkat erinnert daran, daß Bremen den Ruf hat, „Reformhochburg“ zu sein. Mädchenschulen gibt es im fortschrittlichen Stadtstaat schon lange nicht mehr, warum also keine neuen Reformen?

Ein Jahr Kampf für reine Mädchenklasse

Wie wenig reformfreudig Bremer Lehrer sein können, erfuhr die Lehrerin Anne Creutz vor vier Jahren. Fast ein Jahr lang kämpften sie und ihre Kolleginnen um die Einführung von Informatikkursen für Mädchen im Schulzentrum am Rübekamp. Sowohl in der Behörde als auch im Kollegium stießen die auf „völlige Ignoranz“. Nur weil die Frauen „ein Block waren, haben wir das durchgekriegt“, berichtet Anne Creutz. Seit Herbst 1989 haben Schülerinnen in der gymnasialen Oberstufe am Rübekamp die Möglichkeit, sich unbehelligt von besserwisserischen Jungen an den Computer zu setzen. Doch schon zeigte sich ein weiteres Problem geschlechtsspezifischer Sozialisation: In der Schule am Rübekamp gab es keine Informatiklehrerin, die den Kurs hätte leiten können, also übernahm „ein Kollege, der sich für das Problem interessierte“ die Leitung.

Anne Creutz hat beobachtet, daß sich die Schülerinnen in den reinen Mädchengruppen tatsächlich mehr zutrauten. Das Selbstbewußtsein schwand jedoch rasch, als die erste Mädchengruppe im dritten Jahr mit einem gemischten Kurs — der inzwischen zu einer reinen Jungengruppe geschrumpft war — zusammengelegt werden sollte. Das Interesse an den Mädchenkursen aber nahm stetig zu. Hatten im ersten Jahr 13 Schülerinnen den Informatikkurs gewählt, so lagen im dritten Jahr 37 Anmeldungen vor. Von dem Ruch der „Kurs für Doofe“ zu sein, konnten sich die Mädchenkurse jedoch nicht endgültig befreien: Im vergangenen Jahr interessierte sich ein Junge für den Mädchenkurs, weil er dachte, der sei leichter.

Die Mathematiklehrerin schließt aus ihren Erfahrungen, die Geschlechtertrennung in einzelnen Fächern sei eine „notwendige aber keinesfalls hinreichende Maßnahme“, um Chancengleichheit im Klassenzimmer zu erreichen. Sie wünscht sich vor allem PädagogInnen, die sich darum bemühen, im Unterricht keine „Geschlechterdefizite“ zu vermitteln.

„Geschlechtertrennung ist notwendig“

Informatikkurse für Mädchen, Fortbildungsveranstaltung für LehrerInnen und neue Unterrichtsmaterialien — das sind alles nur kleine Schritte in Richtung Chanchengleicheit im Klassenzimmer. Auch Hilke Emig, die für den Bildungssenator derzeit eine Deputationsvorlage zum Thema Koedukation ausarbeitet, gehen die Reformen „überhaupt nicht schnell genug“. An wieviel Schulen in Bremen derzeit mit getrenntem Unterricht experimentiert wird, kann auch des Senators Fachfrau für Koedukation nicht sagen. Doch nach “monatelangen engagierten Auseinandersetzungen“ um das Thema ist die Behörde ihrer Meinung nach offener für solche Experimente. Demnächst sollen weitere Versuche mit Mächengruppen in naturwissenschaftlichen Fächern gestartet werden.

Daß sich die Forderung nach getrenntem Unterricht für Jungen und Mädchen derzeit mit der islamischer Männer deckt, stört Gleichstellungsfrau Brigitte Melinkat nicht. Sie ist sich sicher, daß diese Gemeinsamkeiten nur “ein ganz kurzes Stück des Weges auftauchen, weil wir andere Rollenbilder von Frauen im Kopf haben.“ Diemut Roether