: Asylpolitik-Debatte II: Für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Moral
■ Einige Antworten auf Szankay und Rüdel, taz 17.8.92
1. Bei der Frage der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl geht es um nichts anderes als um Moral, das heißt die Frage nach Verantwortung und Verantwortlichkeit für die Fluchtursachen der Welt. Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Hunger oder schlicht der Chancenlosigkeit einer menschlichen Existenz fliehen, sind nicht durch Gesetze, sondern allenfalls durch direkte Gewalt aufzuhalten. Die Bundesrepublik Deutschland ist — wie auch die übrigen westeuropäischen Länder — als eines der reichsten Länder der Erde das selbstverständliche Ziel von Flüchtlingen. Sie ist darüberhinaus für einen großen Teil der Fluchtursachen direkt oder indirekt verantwortlich, durch Ausbeutung der nationalen Rohstoffe, Zerstörung der Umwelt, Waffenlieferungen oder einfach unterlassene Hilfeleistung. Entweder die Bundesrepublik Deutschland und mit ihr das restliche Westeuropa akzeptieren diese Rolle, was eine grundlegende Änderung in der Umwelt-, Industrie- und Flüchtlingspolitik fordert, oder sie schottet sich — notfalls mit militärischer Gewalt — gegen das Elend der Welt ab.
2. Die gegenwärtige westeuropäische Politik (einschließlich der BRD) setzt auf Abschottung (Schengener Abkommen, Dubliner Abkommen). In diesem Zusammenhang muß die Diskussion um die Abschaffung des uneingeschränkten Grundrechts auf Asyl eingeordnet werden. Die herrschende Politik setzt auf ein (mit der jeweiligen Regierungsmehrheit) leicht steuerbares Flüchtlingsrecht, um einerseits das rechtliche, europaweit koordinierte Instrumentarium zu haben, Flüchtlingsströme an den Grenzen aufhalten zu können, und andererseits den zunehmenden Bedarf an Fremdarbeitern (Rentenpyramide) gezielt steuern zu können. Hierbei ist Art. 16 II 2 GG hinderlich, weil er jedem einzelnen Flüchtling einen gerichtlich überprüfbaren Rechtsanspruch auf Prüfung seiner Fluchtgründe gibt.
3. Die Situation der Bürgerkriegsflüchtlinge (aktuell Bosnien-Herzegowina) fordert weder eine Abschaffung (gleich Änderung) des Art.16 II GG, noch ein neues Flüchtlingsgesetz. Art. 16 II GG ist das Flüchtlingsgesetz für die BRD. Daneben gilt unmittelbar die Genfer Konvention, die die BRD verpflichtet, jeder(m), die/der sich aus begründeter Angst vor menschenrechtswidriger Behandlung hier aufhält, Schutz zu gewähren. Weshalb dieses gesetzliche Instrumentarium nicht auch für den Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen ausreichen und gelten soll bleibt unerfindlich und muß schließlich den Blick auf die Erkenntnis richten, daß es hierum auch gar nicht geht: Wer glaubt, ein Einknicken in der Art.16 II 2 — Frage mache den Weg frei für die sachgerechte und humane Behandlung und Aufnahme von Flüchtlingen, hat nicht begriffen, daß das genaue Gegenteil bezweckt wird: Nämlich das rechtliche Instrumentarium für eine europaweite Abschottungspolitik zu schaffen.
4. Wer als verantwortlicher Politiker nicht endlich begreift, daß nicht Opportunismus, sondern Moral die Leitlinie des eigenen Handelns sein muß, macht sich weiter unglaubwürdig und vor allem handlungsunfähig vor den globalen Problemen der Erde. Politik hat nicht die Aufgabe, Meinungsumfragen nachzuplappern, sondern ein humanes Gemeinwesen nach den Grundsätzen von Ethik und Moral zu gestalten. Hiervon ist die herrschende Politik allerdings weit entfernt, wovon nicht zuletzt die Behauptung eines Widerspruchs zwischen Moral und politischer Lösung in dem obengenannten Artikel zeugt.
Armin von Döllen, Rechtsanwalt in Bremen
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