Wo die Schule unter Palmen "Iljitsch Lenin" heißt

■ Reise durch den zusammenbrechenden Sozialismus: "Si por Cuba libre" prangt noch überall - doch wer hungert, verliert die Ideale

Wo die Schule unter Palmen "Iljitsch Lenin“ heißt

Reise durch den zusammenbrechenden Sozialismus: „Si por Cuba libre“ prangt noch überall — doch wer hungert, verliert die Ideale

hierhin den Mann

mit Strohhut

Ein afrikanischer Staatschef ist zu Besuch bei Fidel Castro und bringt eine große Kiste mit — ein Geschenk. Was darin sei, will Fidel wissen, und bekommt zur Antwort: 'Ein kleiner Elefant — als treuen Gefährten'. — 'Und wie alt wird so ein Elefant?', fragt der erste Mann Cubas. 'So um die 120 Jahre.' — 'Dann will ich ihn nicht', sagt Fidel entschieden, 'am Ende habe ich mich an ihn gewöhnt, und was mache ich, wenn er gestorben ist?'

Jose lacht. Stundenlang könnte der beim staatlichen Tourismusbüro Cubanacan angestellte Fremdenführer Witze über den alten Mann Cubas erzählen, den Revolutionär, der seit über 30 Jahren unangefochten auf dem Chefsessel des Landes sitzt. Dessen Portrait auf jeder größeren Mauer in jedem noch so kleinen Dorf prangt, bevorzugt auf denen der „Ernesto Guevara“ oder „Wladimir Iljitsch Lenin“ benannten Schulen und Fabriken. Dessen Portrait, ohne die Miene zu verziehen, in allen Teilen des Landes dem Zusammenbruch zusieht. Witze machen zu können: das sei das einzige, was man auf Cuba gewonnen habe in den letzten Jahren, findet Jose.

„No problema“ bekommen die TouristInnen permanent zu hören, egal was sie wollen. Manchmal ist es dann allerdings doch ein Problem — kein Wunder in einem Land, in dem für die BewohnerInnen mittlerweile alles zu einem Problem geworden ist. Doch wo die Touris sich darüber aufregen, nicht mit dem Mietwagen durch das ganze Land fahren zu können — das Benzin ist knapp, wird zusätzlich wegen der Zuckerrohrernte rationiert und ist für CubanerInnen wie alles Wichtige sowieso fast nur noch gegen Dollars erhältlich — da stehen die CubanerInnen stundenlang an den Bushaltestellen und müssen manchmal den einzigen vollbesetzen offenen LKW an sich vorbeirauschen lassen. Oder sie warten tagelang auf dem Bahnhof auf einen Platz. Und die offiziellen Anhalterstellen an der Autobahn — dort, wo ein Uniformierter die wenigen Privatautos anhält und die Wartenden hinein verteilt — sind meist hoffnungslos überfüllt.

Im Hotel — schon mehrere Kilometer davor gibt es keine mit Steinen an die Berghänge gelegten „Socialismo o muerte“ („Sozialismus oder Tod“)-Sprüche mehr — dort gibt es immer ein reichhaltiges Buffet. Ein dekadentes Menue im Vergleich zu dem, was den CubanerInnen geblieben ist. Die Deutschen regen sich auf, wenn morgens mal kein Orangensaft da ist.

Hungern tue noch niemand, sagt Jose, doch das liegt wohl auch nur daran, daß die Menschen besonders im Osten der Insel geradezu in einem natürlichen Speisesaal leben. Was für die TouristInnen in den Intur- Läden — aliens only — an Eßbarem bereitliegt, befindet sich ausschließlich in Dosen oder Tüten und ist aus Chile oder Italien oder Spanien oder sonstwoher importiert. In Santiago de Cuba, der zweitgrößten Stadt der Insel, gibt es etwas außerhalb ein riesiges Intur-Einkauszentrum — alles da, vom Designerhemd bis zur Hifi-Anlage. Und alles für den Alltag — all das, was es für CubanerInnen nicht mehr oder nur noch auf dem Schwarzmarkt gegen harte Dollars gibt. Von irgendwem werden die AusländerInnen immer angequatscht. Und höchst selten kommt es einmal vor, daß irgendjemand weder Dollars, noch ein paar Schuhe, Shampoo, die Möglichkeit, mit in einen Intur-Laden einzukaufen oder eine Einladung zum Essen haben will. Die Kinder reihen sich manchmal in Scharen um die Touris. Den Stolz, niemals einen Ausländer um etwas anzubetteln, haben viele CubanerInnen verloren. Und sie wissen, welche Geschichten sie erzählen müssen, um nicht abgewimmelt zu werden: Ich jedenfalls habe in einem Monat die gesamte Tanztruppe der berühmten Tropicana-Cabarets in Havanna und Santiago de Cuba kennengelernt, und die halbe Studentenschaft, die bald dort tanzen wird, auch.

Und so kommt es auch, daß Cuba sich zum neuen Thailand entwickelt: Unter den alleinreisenden Männern hat es sich herumgesprochen, daß die schönsten Frauen sich hier für ein Abendessen prostituieren. Manche der Mädchen, die am Strand mit den Freiern aus Wanne-Eickel oder Gummersbach sitzen, sind noch keine 15 Jahre alt und werden von Tag zu Tag weitergereicht. Usus in Cubas Touristenhotels. Die Trauminsel vor den Toren der USA — wird sie wieder ein vorgelagertes Edel-Bordell, wie vor der Revolution? Susanne Kaiser