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Fragen an Blick und Bild

■ Joachim Kappl inszeniert 'Bildbeschreibung– VON Heiner Müller als faszinierendes Vexierspiel von Aktion und Rezitation

inszeniert Bildbeschreibung von Heiner Müller als faszinierendes Vexierspiel von Aktion und Rezitation

Bevor das Stück anfängt, blicken die Zuschauer auf eine orange umrahmte, schwarze Holzwand, die etwa halb so breit ist wie der Saal, in dem man sich befindet. Die Wand könnte Kulisse sein, aber sie könnte hier auch anstelle eines Bühnenvorhangs stehen. Dann jedoch stellt sich heraus: sie ist gar keine Wand, sondern das schwarze Viereck verwandelt sich zum hauchdünnen, beweglichen Gitternetz der Lamellen und Fäden - einer Jalousie nämlich, um die herum der orange Rahmen als Bühnenbildrahmen stehen bleibt.

Zuerst augenblicksweise, dann längerwährend gewährt den Zuschauern dies Gitternetz den Blick auf ein winziges, mit Requisiten vollgestopftes Zimmerchen, und auf den Mann, der sich darin befindet. Mit aufgerissenen Augen starrt er durch eine Ritze der Jalousie. Eine Weile später beginnt er zu sprechen: einen Text von einer Landschaft zwischen Steppe und Savanne - doch die Worte klingen verworren. Von Sätzen ist kaum eine Spur, geschweige denn, von Zusammenhängen. Was deklamiert der Mann da bloß, während er so verzweifelt eingeschlossen aussieht in diesem Zimmer?

Bildbeschreibung heißt das Stück von Heiner Müller, das der Regisseur Joachim Kappl zusammen mit dem Darsteller Ulrich Cyran im Kunststück in Szene gesetzt hat. Doch nur bruchstückweise leuchten Einzelteile aus dem bizarren Worte-Chaos auf: daß eine Frau und ein Mann im Bild vorkommmen beispielsweise, ein Vogel, Wolken und ein Haus, und irgendwie auch Traum und Alptraum, Wahnwitz und Gewalt.

Allmählich zeigt sich dann, daß der Müllersche Text nur ein Teil der Vorstellung ist. Denn dieser Bildeschreibung ist einfach nicht „im Ganzen“ zu folgen. Außerdem lenkt in der Inszenierung das Auge das Ohr permanent vom konzentrierten Zuhören ab, weil der Mann in seinem Bühnenkäfig so sinnestolle Dinge treibt. Damit macht das Bühnengeschehen gekonnt und faszinierend bildgerecht der verbalen Bildbeschreibung Konkurrenz, und selbst, wer gar nichts versteht, versteht schon eine ganze Menge, wenn er nur hinsieht.

Gleichzeitig setzt die Inszenierung jedoch gerade Bild und Blick und Bühnenrahmen immer neuen Infragestellungen aus, wofür Cyran und Kappl (der auch das Bühnenbild gestaltet hat) kunterbunt mit Perspektiven spielen: mit Hilfe von Kameras, Sonnenbrillen und Bildschirmen aller Art. Bis die Bühne darüber buchstäblich außer sich gerät - beinahe jedenfalls. Denn letztlich läßt sich der orangefarbene Bühnenbildrahmen unmöglich sprengen. Dorothea Schüler

Weitere Aufführungen am 23., 24., 29., 30. 4 und 1. 5., jew. 20.30 Uhr; jeweils im Kunststück, Eimsbütttler Chaussee 23

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