Zu Tode demaskiert

■ Hamburger Hofbühne mit Vitracs Victor in der Markthalle

in der Markthalle

Von der Körpergröße und vom Intellekt würde Victor eigentlich schon zur Welt der Erwachsenen gehören. Doch er feiert an diesem Tag, dem 12. September 1909, gerade einmal seinen neunten Geburtstag. Seine Eltern Emilie und Charles Paumelle möchten diesem Ereignis den nötigen gesellschaftlichen Rahmen verleihen und laden ihre Freunde ein. Den psychisch kranken Antoine, dessen Phychose ausbricht, wenn die Rede auf den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 kommt, als Elsaß-Lothringen an die Deutschen fiel, seine Frau Therese, die ein Verhältnis mit Charles hat, ihre Tochter Esther, die Einzelheiten aus der Liaison zwischen ihrer Mutter und seinem Vater an Victor verplappert und schließlich den General. Mit vorgetäuschter kindlicher Naivität und gekonnt plazierten Anspielungen demaskiert in dem Lustspiel Victor oder die Kinder an die Macht des französischen Surrealisten Roger Vitrac der Protagonist die bürgerliche Welt so weit, daß die Hauptpersonen den Abend nicht überleben.

Unter der Regie von Sebastian Haug feierte die Hamburger Hofbühne mit diesem Stück aus dem Jahr 1928 in der stickigen Markthalle Premiere. Rund um den Tisch, um die gute Stube und später dem Schlafzimmer der Paumelles ist das Publikum verteilt. Durch die Gangreihen rollert Esther, die Tochter der Gäste, und inmitten der sparsam eingesetzten Kulisse bewegt sich Stefan Wilken in seiner

1ersten Rolle als Victor, der frühreife, hochbegabte Balg mit dem Hang zur Destruktion. Irgendwo hinter den Zuschauerreihen ein weiteres Requisit eines bürgerlichen Haushalts: das Klavier, das die Aufführung musikalisch unterlegt und ebenso zur Authentizität beiträgt wie die durch teilweise grotesken Versatzstücke der wilhelminischen Ära verfremdeten historisierenden Kostüme. kader

Weitere Vorführungen am 16. Mai, Gemeindehaus der Hammer Kirche, 2. und 3. Juni Werkstadt 3, und am 16. und 17. Juni Rieckhof in Harburg.

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