Bildungspolitische Schlachten wurden vertagt

■ Enquete-Kommission Schulpolitik kam auf keinen gemeinsamen Nenner / Dafür Einigkeit in materiellen Forderungen

kam auf keinen gemeinsamen Nenner / Dafür Einigkeit in materiellen Forderungen

Die Journalisten ließ die gestrige abschließende Pressekonferrenz der Enquete-Komission Schulpolitik einigermaßen ratlos zurück. Nach ein paar wärmenden Worten durch den Vorsitzenden Professor Carl Ludwig Furck und einem Gläschen Sekt bekamen sie einen 300 Seiten dicken Bericht in die Hand. Und die höfliche Erlaubis Fragen zu stellen. Das Ansinnen eines Reporters, doch bitte die drei wichtigsten Ergebnisse zusammenzufassen, wurde tatsächlich abgelehnt.

Die aus zehn Abgeordneten und sieben Experten zusammengesetzte Kommission war auch nach sechsmonatiger Arbeit offenbar dermaßen zerstritten, daß sie „bewußt auf die Zusammenfassung ihrer Ergebnisse“ verzichtet. Dabei waren die bildungspolitischen Sprecherinnen von CDU und SPD Ingeborg Knipper und Anke Kuhbier gleichermaßen mit dem Anspruch angetreten, die bildungspolitische Schlacht der 70er um die Gesamtschule zu begraben. Vergeblich. Die Kommission gibt nun zwei Voten ab, die wiederum in zahlreiche Untervoten zergliedert sind. Ein Uni-Seminar hätte seine Freude gehabt.

Immerhin, nach der Lektüre der parallel verteilten Parteien-Erklärungen — freundlicherweise mit Seiten-Querverweisen versehen (wir haben schließlich Wahlkampf) — erschließt sich kommissionsfremden das Geheimnis: Es gibt eine rot-grüne Kommissionsmehrheit für eine veränderte Unterstufe. Da sich die Gesamtschulen immer mehr ausweiten, gibt es in manchen Stadtteilen wie Eimsbüttel nur noch wenige Haupt- und Realschulen. Für sogenannte „Rückläufer“ von Gymnasien ein Problem, weil sie kaum noch Schule in ihrer Nähe finden. Das Mehrheitsvotum sieht vor, eine übergreifende Beobachtungsstufe für alle Schulformen einzuführen und die Verteilung statt nach Klasse vier künftig nach Klasse sechs vorzunehmen. Außerdem sollen analog zur kooperativen Heinrich-Hertz-Gesamtschule auch Gymnasien mit benachbarten Haupt- und Realschulen zu „schulischen Rechtseinheiten“ integriert werden. Die Mindertheit, angeführt von Ingeborg Knipper, beharrt dagegen auf den Erhalt des dreigliedrigen Schulsystems in seiner jetzigen Form.

Immerhin hat es sich ausgezahlt, daß in der Kommission mit Axel Koetz von der Unternehmensberatungsfirma Kienbaum und dem Volkswirt Alexander Karmann zwei Experten saßen, die etwas von Zahlen verstehen. Die beiden rechneten die Zuwanderungs- und Geburten-Prognosen des Statistischen Landesamtes noch einmal nach. Ihre alarmierende Erkenntnis: Bis zum Jahr 2000 wird es wahrscheinlich 47 000 mehr Schüler geben. Das sind 30 Prozent mehr als bisher angenommen. Allein um den heutigen Standart zu erhalten,

1müßten jährlich 360 Millionen Mark mehr für Personal und Sachkosten ausgegeben werden. Die Kassandra- Rufe der Lehrerverbände GEW und DL werden nun also auch von Ökomomen gestützt.

„Es müssen schnell Entscheidungen getroffen werden“, sagte der Kommissionsvorsitzende Furck. Da die Lehrerausbildung mehrere Jahre

1dauert, forderte auch Ingeborg Knipper, ab sofort keine fertigen Lehrer mehr in andere Bundesländer abwandern zu lassen. Um aus der Grundschule eine vollwertige Halbtagsschule zu machen, brauche man 316 zusätzliche Pädagogen. Für weitere Verbesserungs-Vorschläge der Kommission müßten nochmals 1000 Stellen veranschlagt

1werden, sagte der GAL-Abgeordnete Joachim Schulze-Bergmann. Außerdem müssen 1600 Klassenzimmer gebaut werden, ein Investitionsbedarf von 1 Milliarde D-Mark. Es muß also viel mehr Geld ausgegeben werden, eine Botschaft, in der sich die Kommissionsmitglieder so einig waren, daß sie unaufgefordert davon erzählten. kaj