"Liebe taz..."
: Parteilos geht nicht: 1. Mai ohne Rappe

■ Betr.: Streit um Gewerkschafter als Kundgebungsredner ohne Parteibuch, taz vom 20.4.

Es ist ein einmaliger Skandal, daß der Vorsitzende Herrmann Rappe seine bereits fest zugesagte Teilnahme als Redner zum 1. Mai mit der Begründung abgesagt, daß die Bremer DGB-Vorsitzende Helga Ziegert parteilos ist. Nicht minder skandalös ist es, daß der DGB-Vorsitzende Heinz-Werner Meyer auf einer Pressekonferenz in Bremen diese Auffassung auch noch geteilt hat. Nach Meinung von Rappe und Meyer dürften nur noch SPD- und CDU-Mitglieder für Gewerkschaftsposten kandidieren. Ein merkwürdiges Verständnis von innergewerkschaftlicher Demokratie, Gewerkschaftsmitglieder in Parteiblöcke zu spalten und Andersdenkende und parteipolitisch Unorganisierte auszugrenzen, statt sie in die Willens- und Meinungsbildung einzubeziehen. In der sozialdemokratischen Richtungsgewerkstatt IG Chemie ist durch diese Praxis die Gewerkschaftsdemokratie schon seit Jahren beerdigt worden. Innergewerkschaftliche Kritiker sind systematisch ausgeschaltet und Wendehälse in Gewerkschaftsämter gehievt worden. Das NDR-Nachrichtenmagazin Panorama berichtete seinerzeit, daß der Altstalinist und SED-Hardliner Hartmut Löschner auf dem Gewerkschaftstag der IG Chemie zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurde. Daß er drei Monate vor der Wende noch als Handlanger des SED Macht- und Herrschaftsapparates im Vorstand der Ex-DDR-Gewerkschaft Chemie, Glas und Keramik arbeitete (u.a. für Agitation und Propaganda zuständig) und sogar mit der Stasi kollaborierte, störte Rappe nicht. Hatte sich der einst stramme SEDler doch seinen Stellvertreterposten durch den zuvor erfolgten SPD-Beitritt redlich verdient. Ich und viele meiner Kollegen wehren sich deshalb mit aller Entschiedenheit gegen Versuche, die Unabhängigkeit der Gewerkschaften von Parteien und Regierungen gegen eine Richtungsgewerkschaft der großen Koalition einzutauschen. Statt dessen sollten Rappe und Meyer die interne Meinungsvielfalt fördern und Parteien, die die Gewerkschaften für ihre Zwecke mißbrauchen wollen, darauf verweisen, daß sie mit dem Gedanken der Einheitsgewerkschaft unvereinbar sind — so steht es jedenfalls im DGB- Grundsatzprogramm. Als Funktionär der Gewerkschaft HBV und SPD-Mitglied bin ich im Gegensatz zu Rappe und Meyer froh, daß die parteipolitisch unabhängige und in Bremen geachtete und anerkannte Kollegin Helga Ziegert mit überwältigender Mehrheit zur DGB-Kreisvorsitzenden gewählt wurde.

Hans Jürgen Kröger