Kein Zwang zum Kriegsdienst

■ Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung: „Gewissen“ und „mit der Waffe“ streichen

Rudolf Prahm: „Kriegsdienste mit und ohne Waffen abschaffen“F.: J.O.

DerCDU-Bundestagsabgeordnete Friedhelm Ost hat gerade die Wiedereinführung der Gewissensprüfung bei Kriegsdienstverweigerern gefordert — sonst drohe ein „Rekrutennotstand.“

Die „Vereinigung zur Förderung des Petitionsrechtes in der Demokratie“ will die Gewissensprüfung dagegen ganz abschaffen — per Verfassungsänderung. Bisher steht im Grundgesetz: „Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden“ (Artikel 4, Absatz 3). Genau dies will die Bremer Initiative zur Diskussion stellen — und zwar bevor die Verfassungskommission am 1. Juli die Neufassung dieses Artikels abstimmt. Eine entsprechende Petition hat sie auf den Weg, d.h. zu den Bundestagsabgeordneten geschickt.

taz: Was wollen Sie ändern?

Rudolf Prahm („Vereinigung zur Förderung des Petitionsrechtes in der Demokratie“): Wir wollen eine Verfassungsänderung. Denn der jetzige Paragraph unterscheidet zwischen solchen Bürgern, die zum Kriegsdienst mit der Waffe und solchen, die zum Kriegsdienst ohne Waffe gezwungen werden. Gegen den einen Dienst (nämlich den mit der Waffe) darf man Gewissensgründe einbringen, gegen den ohne Waffe aber nicht.

Mann vor Transparent, Gesicht rechts am Rand, angeschnitten

Was verstehen Sie unter Gewissensgründen?

Im Kommentar des Grundgesetzes steht: daß es eine letzte, nicht hinterfragbare Entscheidung des Einzelnen ist, aufgrund seiner Beurteilung von Gut und Böse in seinem Denken und Handeln, in seinem Sollen und seinen Pflichten entscheiden zu können.

Trotzdem gibt es Verweigerer, die den Kriegsdienst auch im zivilen Bereich ablehnen und dafür Bestrafung auf sich nehmen müssen.

Das ist die momentane Rechtslage. Genau das würde entfallen, wenn wir eine ganz schlichte, für jeden Bürger geltende Fassung haben würden: „Niemand darf zum Kriegsdienst gezwungen werden.“ Politiker, nach deren Meinung zu einer solch verkürzten Fassung ich gefragt habe, haben das allerdings abgelehnt.

Wer zum Beispiel?

In Bremen Senator Henning Scherf (prominenter Kriegsdienstverweigerer) und der Bundestagsabgeordnete Hans Koschnick; wichtig ist auch Justizministerin Sabine Leuthäuser- Schnarrenberger. Deren Referent antwortete mir in ihrem Auftrag: „Auch die Verteilung von Brot kann eine Kriegsunterstützung sein.“ Genau das ist der Ansatz: Es kann nicht in einem Grundgesetz verankert sein, daß jemand gegen sein Gewissen gezwungen werden kann, in einem Krieg Dinge zu tun,

die zwar mit Waffengang nichts zu tun haben, aber doch einen Krieg unterstützen und verlängern.

Mit dieser Argumentation knüpfen Sie an die Ablehnung der Notstandsgesetze an?

Richtig. Das wäre eine konsequente weitere Forderung — nur sehe ich im Moment keine politische Gruppe im Bundestag, die das für aktuell hielte. Ich halte es für hochaktuell, vor allem weil nach der Erfassung durch das Arbeitssicherstellungsgesetz Leute verplichtet werden können, von einem Tag auf den anderen eine völlig andere Arbeit als bisher zu machen — und zwar eine Arbeit, die mit Kriegsunterstützung zu tun hat. Dies hat weitreichende Konsequenzen. Denn damit können Grundrechte von Arbeitnehmern in der gleichen Weise eingeschränkt werden wie bei Soldaten — das bedeutet die Einschränkung der Freizügigkeit, der Freiheit der Person und auch den Verzicht auf Unverletzbarkeit.

Wie soll also der Satz lauten, den Sie in der neuen Verfassung lesen wollen?

„Niemand darf zum Kriegsdienst gezwungen werden.“ Bums aus. Und zwar deshalb, weil nur in diesem Artikel davon die Rede ist, daß Menschen gegen ihr Gewissen zu irgendetwas gezwungen werden können. Zu nichts anderem kann in unserer Republik sonst ein Mensch gegen sein Gewissen gezwungen werden. Das hat noch nie irgendein Gericht bescheinigt, aber ausgerechnet in der Kriegsunterstützung macht man die Ausnahme. Man will sich dieses Schlupfloch lassen, weil sonst alle Nachschuborganisationen, alle Hilfsorganisationen, alle Hilfslazarette und Feldpostbeamten usw. wegfallen würden. Und ohne diese „Unterstützung aus der Heimatfront“ kann eine Truppe, wenn sie obendrein noch außer Landes geflogen wird, gar nicht arbeiten oder kämpfen oder auch Hilfsdienste leisten.

Gibt es denn — bezogen auf die neue Verfassung — überhaupt Diskussionen?

Nein. Daran denkt zur Zeit niemand, das wird immer wieder von angefragten Stellen ausdrücklich bescheinigt. Wir sind hier einsame Kämpfer. Aber wir denken so grundsätzlich wie Karl Friedrich von Weizsäcker, der gesagt hat, daß man die Institution Krieg abschaffen muß.

Zur Institution Krieg gehört natürlich auch die Unterstützung der Truppe auf alle mögliche Weise, was die Bundesregierung über die Katastrophenschutzgesetzgebung erreichen will. Aufgrund der Rechtslage braucht nur das Wörtchen „erweitert“ hinzugesetzt zu werden — und dann werden all die Männer im Technischen Hilfswerk, in Freiwilligen Feuerwehren, in Rettungsdiensten verpflichtet, die Kriegsführung zu unterstützen.

Haben Sie von Politikern überhaupt positive Rückmeldungen bekommen?

Nicht, daß sie Verständnis hätten, daß wir den Artikel geändert haben wollen. Aber Herr Schreckenberger hat angedeutet, daß diese Überlegungen letztendlich zu einer Berufsarmee führen könnten. Mir geht es allerdings gar nicht darum, welche Institution der Staat sich schaffen kann oder muß. Mir geht es um die Rechte des einzelnen, um die Gleichstellung der Menschen, die sich dem Krieg verweigern.

Das wäre jetzt, im Klima der Abrüstung, ein politisches Zeichen?

Genau, besonders wenn wir uns daran erinnern, daß sowohl Herr Kohl als auch Herr Weizsäcker in den Tagen der Vereinigung versprochen haben, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen werde. Interview: Birgitt Rambalski